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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Geschehen, daß Stoff erst durch Bildkraft zur Form kommt: Der Tischler, nicht
das Holz macht den Tisch. Mögen die Hölzer der Stofflichkeit noch so gegeben sein, erst durch Nutzbarmachung
gewinnen sie das Existenzrecht der Form. So zimmert der Erdgeist den Tisch, an dem das Ich sich niederläßt, jede
seiner Ausstrahlungen wirft sich auf den Stoff und schnitzt ihn. Wie das Gegenteil sich ausschließt, weil Mechanik
selber den Wink gibt, daß alle Leitfäden des Körperlichen vom Hirn ausgehen und jede Muskelbewegung erst
gedacht sein muß, so ist Allein-Dasein der Psyche, von der alles Sichtbare ausgeht, durchaus denkbar. So
läßt sich das Leben nur dann über monistischen Leisten schlagen, wenn man es als Vermählung von Sichtbar
und Unsichtbar erkennt, nie aber, wenn man Stoffmechanik voranstellt, deren angebliche Folgen ganz auseinanderlaufen als
Milliarden Welten von Bewußtseinsvorstellungen. Darum gelangt der scheinbare Dualismus von Stoff und Kraft schon
hienieden zum psychischen Monismus, denn in unendlicher Ungleichheit der Eigenwesen waltet immerhin gemeinsamer
Lebensprozeß. Wie darf man also Wirr- und Klarwelt sondern, die sich vielmehr gegenseitig durchdringen! Jedes Verlegen
der Bewußtseinsschwelle verändert die Wirrwelt, deren Wirklichkeit so relativ ist wie die des selbsterdachten
Gegensatzes, erst jenseits ihrer Auflösung tagt der Klarismus, der etwas klärt.
    »Was wär ein Gott, der nur von außen stieße!« lautet Goethes Echo Brunos, doch was wäre
einer, der nur von innen stieße? Die Eigenwesen sollen sich nur auf sich selber stellen? Wer genügend Erfahrung
sammelte, verzichtet nie auf transzendente Beihilfe im Eigenkampf; die kindlich Frommen haben den Erfahrungsspruch: Wo die
Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt«
trägt eine tröstlichere Gewißheit in sich als die kirchlich gemeinte. Wenn Friedrich der Große das
höchste Wesen damit ehren wollte, daß es sich unmöglich um Menschenameisen kümmern könne, so
beachtete er nicht die erhabenere Ordnung, daß »kein Haar von unserm Haupte fällt ohne den Willen« der
göttlichen Notwendigkeit. Mit Gott haben wir persönlich nichts zu schaffen, wohl aber mit seinen Myriaden
»Hütern« und »Wächtern«. Wenn Philo den Telepathiker und Hypnotiker Moses »Herrn der
Natur« nannte, so lehren Plotin und die Gnostiker nur Eingreifen hilfreicher Schutzgeister, die den Auftrag haben, am
Schicksal der Eigenwesen zu modeln und gegebenenfalls der Materierohheit in den Arm zu fallen. Natürlich geschieht dies
äußerlich kausal, doch mit wunderbarer Verkettung scheinbar fernliegenden Dinge. Jeder, der im Leben alt geworden,
erfuhr solche Fügungen. Wäre die als teuflisch gewertete Wirrwelt des Teufels, so könnten in ihr
überhaupt nicht Gerechtigkeit und moralische Ordnung bemerkt werden.
    Dies leugnet zwar der Materialist, der ehrlicherweise stets Pessimist sein müßte und dessen wahre Frucht bei
den ungebildeten Massen das Verbrechen ist. Der vornehm Erkennende aber belächelt dies Leugnen, er weiß, daß
jeder Selbstling, sogar jeder unheilbare Schuft über ungerechtes Schicksal flucht, wenn es ihn am Kragen packt. Der
Weltkrieg und seine Friedensfortdauer zeigt die gerechte Vergeltung in den großen Verhältnissen, den Sieger
verfolgt sein Karma wie den Besiegten, besonders jene wirren Heuchler, die nur im Gegner den Übeltäter sehen,
finden früher oder später den kausalen Lohn. Die ganze Weltgeschichte ist voll davon, doch auch in kleinen
Verhältnissen des Privatlebens lügt in seinen Hals, wer seine Unschuld beteuert. Gewiß erlebt man Tücken
des Daseinsverlaufs, die das Schicksal noch grausamer erscheinen lassen als Menschen, wir reden nicht bequemem Kanzelgerede
das Wort, das Gott mit seinem Zorn gegen Sünder entschuldigt, als ob göttliche Notwendigkeit so erbärmliche
Regungen wie Zorn kennte. Jahve wollte Sodom schonen, wenn nur 50 Gerechte darin lebten, und wer Satan als Herrn der Welt
verflucht, sollte nachschauen, ob er nicht selber satanisch sei. Wer tief durchdenkt, was ihm widerfuhr, spürt nur zu
oft, daß erbitternde Widerwärtigkeiten ihn vor Schlimmerem bewahrten. So retten oft plötzlicher Zusammenbruch
und Tod vor sonst kausal unvermeidlichen lebenslangem Leiden. »Wen die Götter lieben, stirbt jung« meinten
die »lebensfrohen« Griechen. Wenn Ausleben und Ausreifen genialer Menschen durch Milieuhemmnisse oder frühen
Tod

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