Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Geniale eine sonst physisch andre Spezies, so wäre auch dann
unerklärlich, wie man mit dem immerhin gleich oder ähnlich aufgebauten Gehirninstrument intuitiv und inspiriert,
original und produktiv denken könne. Da aber der Geniale physisch ein Mensch wie andere, so muß man sich schon mit
der Ansicht befreunden, daß es eine selbständige Psyche gibt, die sich wenigstens transzendentaler Freiheit
erfreut, indem sie zwar irdisch determiniert will und handelt, aber sich selber vorbehält, ihr Erdenwerk in ungleichsten
Formen zu verrichten. Physikalische Untersuchungen des Gehirns bedeutender Geister sind nicht nur dürftig und
ungenügend, sondern in der äußerst beschränkten Zahl der Beobachteten gröblich widerspruchsvoll
bezüglich Schädelumfang und Gewicht, wobei obendrein fraglich, ob die Untersuchten überhaupt als eigentlich
genial gelten dürfen. Harden spricht nur von Bismarcks »majestätischem Menschenverstand«, Kant
würde sich selber nicht den Titel Genie zusprechen, welche beiden aber die einzigen sind, deren Gehirnumfang einen hohen
Rekord schlägt unter allerlei reproduktiven Gelehrtentalenten, von denen freilich Leibniz schon eher dem Gebiet des
Genialen angehört, und gerade er hatte niedriges Volumen. Damit sind solche äußerliche
Gehirnmaßstäbe überhaupt nicht von Belang, und solange man geniale Gehirnarbeit nicht lebend bei der Arbeit
beobachten kann, weiß man schlechterdings nichts davon. Es scheint sicher, daß die Anordnung der Neuronen und
Fibrillen dort geradeso verschieden vom »Normalen« wie die weißen Markfasern der Gehirnsubstanz. Nun wohl,
solange nicht die entfernteste Erklärung vorliegt, wieso ein Mensch unter gleichen organischen Verhältnissen ein
durchaus verschiedenes Gehirnsystem besitzt, d. h. mit gleicher Lunge, Leber, Milz, zwei Beinen, Armen, Augen ein
normwidriges Hirnleben gestaltet mit durchaus von Vernunftmenschen verschiedenen Funktionen, solange wird man kühnlich
eine besondere unsichtbare Psyche als alleinmögliche Ursache ansprechen können. Selbst als das Hirninstrument sich
selbst ein nötiges Instrument schuf, die Sprache, unterlag sie gleichem Gesetz der Ungleichheit: Dichtung »Sprache
der Götter« unterscheidet sich völlig von der bräuchlichen Umgangssprache.
    Mit der Hypothese »Gehirn gleich Seele« geht es so wie mit dem Materialismus überhaupt. Forel gesteht,
daß bislang keinerlei Beweis für mechanistische Lebensentstehung vorliege, doch sie sei eben das
Wahrscheinlichste. Wieso? Da er selbst voraussetzt, es gebe keine tote Materie, könnte man ebensogut fordern, eine so
vervollkommnete Maschine wie ein Auto müsse sich von selbst in Bewegung setzen. Selbst wenn wir aber Benzinfüllung
mit irgendeinem Materiefaktor wie Sonnenbestrahlung vergleichen – natürlich ein schlechter Vergleich, da das
Benzin ja nicht aus den Wolken fällt –, so muß doch jemand erst die Kurbel drehen. Gut, dann rast das Auto
ins Blinde drauf los, um zu zerschellen, es bedarf des leitenden Chauffeurs, im Vergleichsfalle also der Psyche. Wendet man
ein, daß hier der Chauffeur aus der Menschenmaschine selber herauswachse? Geschähe dies mechanisch, so
müßte nach gleichem Naturgesetz eine benzinhaltige d. h. lebende Maschine sich selber kurbeln, das Hirn entspricht
aber hier höchstens der Kurbel. Naiver Protest, ein Auto sei ja vom Menschen gemacht, ist haltlos, denn der Mensch soll
ja selbst Maschine sein, also gilt für ihn und das Auto das gleiche Gesetz, ebensogut wie ein Auto könnte Technik
den Homunkulus schaffen. Es bleibt also schlechterdings bei der Tatsache, daß ein Auto, selbst wenn es sich selber
kurbeln könnte, immer noch den Chauffeur braucht, der sich auf die Maschine setzt, sonst gibt es lauter
»Pannen«. Forel behauptet, die beispiellos feine Komplikation des Hirnapparates entstehe durch unendlich kleine
unwahrnehmbare Vorgänge der Keimzellen, jawohl, durch unsichtbare. Blickt man aber auf den Embryo, so geschieht der
Hirnaufbau aus der Haut vielmehr ungeheuer schnell. Nehmen wir die Unglaublichkeit an, ein so gewaltiges Phänomen
käme durch lauter niedrige Automatismen zustande, was gewinnt der Materialismus damit? Man verschiebt nur die
Chauffeurfrage, denn nach Menschenbegriffen ist mechanisches Hinarbeiten auf solch zweckmäßiges Kunstwerk
undenkbar. Hinter dieser durchdachten Arbeit muß ein Ingenieur stecken. Wir begrüßen Forel als Mystiker,
weil er der »blinden« Materie sinnvolle

Weitere Kostenlose Bücher