Der Aufgang Des Abendlandes
Außenwelt um uns her bedeutet uns Zeit, Nebeneinander der Bewegungen Raum. Auf dieser
Vorspiegelung falscher Tatsachen durch Introspektion, die den eigenen Körper als Außenwelt im Vergleich zu sich
selber fühlt und alle Wahrnehmung zu Lust und Unlust umbildet, beruht auch jede Wissenschaft, die nur mit Zeit und Raum
operieren kann. Daher tut Forel unrecht, zwar den Mechanismus als »verfrüht«, den Vitalismus aber als
unwissenschaftlich zu bezeichnen; denn daß die Möglichkeit besteht, wissenschaftlich Organisches aus angeblich
Unorganischem zu entwickeln, beweist an und für sich gar nichts, da der wahre Monist eine leblose Substanz nicht
anerkennt, daher Leben sich nur aus abermals Leben entwickeln kann. Das große Logoswort heißt weder Mechanismus
noch Vitalismus, sondern Psyche schlechtweg. Gelänge ein Homunkulus, so hätte ihn ja nicht die Materie, sondern
deren Anordnung durch experimentierende Psyche ins Leben gerufen. Wie darf man aber mit Forel Experimente der üblichen
Forschermethode als »einzige Mittel für wahre Erkenntnis« preisen, wenn er zugibt: »Was wir objektiv
nennen, ist nur Resultat verglichener subjektiver Bilder«. Dann liegt doch klar, daß solche Bilder sich nur
relativ von introspektiven Phantasiebildern unterscheiden, über die Forel hochmütig wegsieht. Uns scheint ferner
bemerkenswert, daß im Zentralnervensystem keine neuen Elemente, keine neuen Neuronen entstehen, »nicht ihre Zahl
sich vermehrt, sondern nur ihre Markhülle, ihre Länge und Verästelung wachsen«. Der Gewichtsunterschied
zwischen Kindes- und Manneshirn besteht ausschließlich in Vergrößerung der Isoliermasse, das Wesentliche
bleibt unverändert. Was beweist dies? daß psychisches Wachstum nicht das Psycheinstrument Hirn berührt, es
also gleichsam einer andern Sphäre angehört. Solche Konstanz des Neuronensystems im Gegensatz zum steten
Zellenwechsel des physischen Organismus beweist die Konstanz der Psyche (sonst müßte das von ihr geschaffene
Denkinstrument sich notwendig verändern) und damit ihre primäre Ursprünglichkeit vor dem Körperzuwachs.
Wir erkennen hierin Unabhängigkeit vom physikalischen Kausalitätsgesetz, auf welches Mach den Satz »der
Erhaltung der Arbeit« zurückführen möchte. Forel verweist darauf, daß schon »der Philosoph
Spiniza erkannte, wodurch Illusion der Willensfreiheit entsteht«, nämlich Unbekanntschaft mit unsern (zwingenden)
Motiven, anerkennt aber seinerseits relative Willensfreiheit in zweckmäßiger Anpassung des Willens an den
Daseinskampf durch schlaue Berechnung (wir umschreiben, was er meint). Selbst solche Relativität bestreiten wir
durchaus, auch sie entspringt nur gegebenen Determinanten der natürlichen Anlage. Willen zur Anpassung, d. h.
Selbsterhaltung hat jedes Lebewesen und folgt ihm eben gemäß seinen Bedingungen; ob mit oder ohne Erfolg, gilt
gleich. Willensunfreiheit wird aber fälschlich für Mechanismus in Anspruch genommen, sie ist nur logischer
Bestandteil der Kausalität, denn da es keine Wirkung ohne Ursache gibt, so unterliegt alles notwendigem Zwang. Damit ist
aber keineswegs gesagt, daß das Geschehen selber mechanisch sein müsse, da alles Sichtbare eben aus Unsichtbarem
herrührt. Bewußtsein »innerer Reflex« äußerer Hirntätigkeit? Grober Illogismus, denn
woher Inneres, wenn nur Äußeres wirken soll? Nicht mal graue Hirnmasse ist nötig, Bräunlichkeit des
Negerhirns wegen anderem Blutpigment erweist Hirn nur wie jedes andere Organ als Gehäuse des Blutstroms ohne eigenen
Einfluß auf unsichtbare Bestimmung.
Forel denkt sehr hoch von Genialität, deren Kombinationen intuitiv und unbewußt »wie Blitze im
Bewußtsein erscheinen« im Gegensatz zum nur reproduktiven Talent, doch wäre »Vernunft« identisch
mit »gesunder Menschenverstand« wie Forel behauptet, so könnten Vernunft und Genie nicht »durchaus
keine Gegensätze« sein, sondern diese Art Vernunft, die sich kritisch-analytisch dem Bekannten anpaßt, hat
keine Brücke zur komplizierten Genialität. Diese spottet jeder Mechanistik sogenannter Gehirntätigkeit, denn
hierbei wäre ausgeschlossen, daß Genialität den ganzen Engramminhalt der Mnemen original d. h. abweichend vom
Reproduktiven verarbeitet und oft geradezu umstößt. Solche schöpferische Gabe unterscheidet sich völlig
von der gewöhnlichen Vernunft, die höchstens je nach Stärke oder Schwäche der Neuronen graduell
verschieden sein kann, nie aber absolut. Wäre der
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