Der Aufgang Des Abendlandes
Zauberei zumutet. Ja, unsichtbare Zauberei von solcher Feinheit, wie man
sie bisher kaum ahnt. Als Buddha die Ethik eudämonistisch-physikalisch begründete, wußte er doch nicht,
daß »unendliches Wohlwollen« unendliches physisches Wohlsein verbürgen würde. »Sehr gesund,
ein gutes Herz!« ruft Bulwers weiser Homöopath. Es ist so. Güte und Mut schmieren die Lebensmaschinerie,
Bosheit und Feigheit bringen sie physisch in Unordnung! Kleinlicher Haß vergiftet die Säfte, während ein
Ausbruch gerechten Zorns nur als leichtes Fieber den Grollstoff ausscheidet. So arbeiten Ethik und organische Physis stets
Hand in Hand.
Alle alten Denker verlegten den Sitz der Seele ins Blut, bis der Mediziner Hippokrates die Hirnpsychologie gründete,
die bis heute eiligst alle Mediziner bearbeiteten. Was dabei herauskommt, wenn Leute, die berufsmäßig nur
Körperliches studieren, in Seelisches hineindoktern, liegt auf der Hand. Die Experimente von Flechsig, Hitzig, His,
Eichet, Langley berechtigen keineswegs, mit Verworn eine »Mechanik des Geisteslebens« zu konstruieren. Daß
er Dualismus befehdet, dies Streben teilen wir ja in ganz anderm Sinne. Natürlich können Geist und Leib nicht
Verschiedenes sein als gleiche Emanationen eines einheitlichen Dritten. Wir sehen nicht ein, wieso die Hirnphysiologie ihre
Unwissenschaftlichkeit nicht einsieht, wenn sie Galls Phrenologie in den Papierkorb wirft. Verworn vollzieht an ihm die
Ehrenrettung in der Hauptsache, Entdeckung des Großhirns als Sitz des höhern Bewußtseins, doch verwirft er
in gewohntem Stil Galls Funktionsbezirke, obschon doch Hirnphysiologie selber eine genaue Topographie des Hirnbodens
aufzeichnet. Das hat nicht mehr Wert als jede andere anatomische Landkarte des Körpers, instruktiv als bildliche
Beschreibung, doch ohne jede Bedeutung für lebendige Bewegungen in dieser Landschaft. Abgesehen davon, daß Galls
»Bumps«, die kleinen Schädelerhöhungen als Merkmale verschiedenster Eigenschaften, oft die empirische
Probe bestehen,, wäre nur wunderbar, wenn es anders wäre, d. h. der Hirnapparat nicht äußere
Abdrücke spezifisch entwickelter Funktionen hervorbrächte, vollends wenn er allein den Geist repräsentierte.
Denn da tatsächlich die Sinnesgebiete Sehen, Hören usw. bestimmte Merkmale zeigen, so wäre unnatürlich,
wenn intellektuelle und ethische Eigenschaften nicht ebenso sich kennzeichneten. Wie die Hand ihre bedeutsamen Linien
muß bei Einheit von Geist und Körper das Hirn sichtbar seine Regungen auf der Schädeldecke hinterlassen. Nun
ist aber das Hirn kein unabhängiges Organ, sondern unterworfen der Machtvollkommenheit des Bluts, ohne das sich keine
Hirnmasse bildet und das allein deren Beschaffenheit bestimmt. Zu diesem Behuf bedient es sich der Nervenfasern, eines
Zwischenapparats unterhalb der Schädeldecke. Was aber diesen Drähten analog läuft, das allbelebende Fluidum,
ohne daß auch das Nervensystem nicht wirken könnte, bleibt außerhalb jeder physiologischen Betrachtung. Fiel
Verworn nicht ein, daß das Subliminale sich schlechterdings nicht körperlich bestimmen läßt? Ach nein,
er vermeidet sorgfältig die unheimlichen Begriffe unbewußt, Unterbewußtsein, sie sind für ihn nicht da,
das ist das Bequemste. Die Frage läßt sich durch einen einzigen Vergleich entscheiden: reißt man dem
Menschen die Zunge aus, so entzieht man ihm Möglichkeit des Redelauts, doch nicht den Besitz der Sprachworte; amputiert
man beide Beine, so kann der Mensch nicht mehr gehen, doch der Bewegungstrieb an sich erlischt keineswegs. So, entfernt man
das Großhirn, verliert er Ichbewußtsein und Mitteilungsfähigkeit, nicht die unbewußte Grundlage seiner
psychischen Natur.
Das unantastbare Fluidum des Nervensystems wirkt auch nach Aufhebung des Bewußtseins fort, das Gleichgewicht des
Stoffwechsels als sogenannte Selbststeuerung durch Assimilierungsersatz aus Blut und Lymphe erfolgt ohne Zutun des Hirns
durch eben dies Fluidum, das über dem Blutstrom schwebt. Gedächtnisverlust durch Zerstörungen der
Großhirnrinde zeugt nicht von Lokalisierung allgemeiner Gebiete, sondern Gedächtnis als Zentralgehalt des Ichs,
das nur von seinen Gnaden besteht, vermindert sich eben in gleichem Grade wie das Bewußtsein, also ist
Fehlschluß, Gedächtnisschwund als etwas Besonderes zu registrieren, da dies identisch mit Gehirnschwund
überhaupt. Dubois-Reymond erläuterte treffend, daß wir bei genaustem Sehen der Gehirnvorgänge
Weitere Kostenlose Bücher