Der Aufgang Des Abendlandes
anerkennt,
müßte dann auch bloß zeitliche Energie annehmen. Doch solcher Halbmaterialismus zieht geradezu wilde Mystik
mit den Haaren herbei, wenn er unliebsamen Phänomenen begegnet. So erklärt Bohne den Geisterspuk für
restierenden Niederschlag potenzieller Energien, die selbständig weiter rumoren und bei großer Anhäufung
sogar Völkerkatastrophen herbeiführen! Spukende Energie, losgelöst von jedem materiellen Beisatz, heißt
die Selbständigkeit des Immateriellen auf die Spitze treiben als unfreiwillige Selbstzerstörung der Mechanik! So
wird dem Psychischen als Weltspuk gehuldigt, bloß um die Psyche selber wegzuschaffen! Schlauere Materiesophisten
fürchten eben Verworns treuherzige »Mechanik des Geisteslebens« als gefährliche Entgleisung, denn es
mißlingt ja immer, Hirn und »Seele« als identisch in Einklang zu bringen. Prüfung von Rinde und
Ganglienzellen als Telephonapparate neben Fibrillen als Drähten läßt kein mechanisches Zusammenspiel zu, erst
unfindbare Um- und Einschalter, Bearbeiter und Benutzer – beides in einer Person – geben die Möglichkeit.
Bei soviel Absicht und Zweckmäßigkeit fällt Gehirnautomatik in sich zusammen. Ist dieser Telephonleiter nur
ein Bauchredner des Unbewußten? Oder ist's Schopenhauers blinder Naturwille, im Grunde kein Wille, sondern animalischer
Drang?
Dieser kommt sich bei Nietzsche plötzlich autonom vor, sein eigener Gesetzgeber gegen jeden außer und über
ihm stehenden Willen. Alles wüste Romantik. Blinder Naturwille kann sich weder bejahen noch verneinen, d.h.
durchschauen, kein Blinder die schärfsten Augen haben. Wie belustigt ein sich selbst freibejahender Wille, mit dem
Nietzsche sich zum Gotte träumte, denn dieser unmoralische sieht dem moralisch freien Willen der Theologen so
ähnlich! Nietzsche selbst war gänzlich unfrei determiniert, reine Kausalerscheinung des Milieu, das gebieterisch
solch kreischende Diesseitsorientierung verlangte. Erkenntnisbejahung kann nie Lebensbejahung des Ichwillens sein, wenn die
von Nietzsche so hoch gelobte intellektuelle Sauberkeit bestehen soll. Denn Diesseitserkenntnis gibt es überhaupt nicht,
da es weder isoliertes Diesseits ohne ergänzendes Jenseits noch Eigenwillen ohne Kausalbeschränkung geben kann. Man
kennt nicht alle Logarithmen bloß durch den pythagoräischen Lehrsatz, freilich auch nicht erstere ohne letzteren.
Stirners »Ich habe meine Sach auf nichts gestellt« hat einen gewissen Sinn, keinen aber das Versteifen auf ein
kurzlebiges Etwas von Gegenwartskunde, dessen ohnmächtiger Schein nie von Allem zu trennen ist. Ein auf sich Gestelltes
würde zu seiner Betätigung immer einer Umwelt bedürfen. Nietzsches Anarchismus widersetzt sich
gleichmäßig dem Deismus, Pantheismus, Mechanismus, romantikt eine schwarze Magie des bösen Willens, der sich
wie ein Besessener allmächtig dünkt, weil ihn karmamäßig zubestimmte Gehirnsyphilis reizte. Auch
selbstbestimmender »Klarismus« und Wilberfordes göttliche Immanenzerklärung beeinträchtigen die
herbe Demut, ohne welche das allein mögliche Erkennen, nämlich das Intuitive, sich nicht hernieder senkt.
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Nur ein törichter Naturalist belächelt als weitgehende Mystik, daß nur das Unsichtbare das Sichtbare
geschaffen haben kann. Und doch weiß man schon heute, daß es keinen starren Stoff gibt, sondern jeder Steinwall
durchstrahlt und in steter Bewegung seiner Atome vibriert wird. Solange man aber das Ichpersönliche als Willensmacht
bestehen läßt, was dem Menschenegoismus schmeichelt, liefert man dem Materialismus polemische Handhaben. Buddha,
obwohl er zu radikal verfährt im Abscheu vor vedantischer Seelenvergötterung, versetzt in Wahrheit dem Mechanismus
gerade durch Ausmerzung des gewöhnlichen Seelenbegriffs einen tödlichen Schlag, denn seine Naturforschung ist ganz
ins Unsichtbare verlegt und zieht dem Materialismus den Boden unter den Füßen weg, was ein vager Spiritismus nie
vermag. Owens christlich orientierte Spirits benachrichtigen uns, daß der liebe Gott das Leid der Kreaturen als
höchst wohltätig einführte. Es mag so sein, doch so Schweres darf nicht leichtfertig hingesprochen werden.
Denn warum läßt Gott außerdem noch eine Hölle zu, ein »Land der Finsternis«, das die
Bösen erwartet, aus dem sie erst allmählich erlöst werden? Owens Geister äußern sich zwar konfus,
doch geben sie Unfreiheit des Willens indirekt zu, sintemal sogar ihr Jenseitsleben nur
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