Der Aufgang Des Abendlandes
wohltätigem Zwang gehorche. Wenn
sie aber ihren erfreulichen Zustand und die Hölle daneben ausdrücklich als Kausalfolge erklären, wieso
verdient unfreier Wille der Bösen so grausame Strafe? Gewiß halten wir dies für logischer als Wilberforces
Liebesgezeter gegen den Höllenbegriff, aber ohne Karmagesetz verwickeln diese persönlichen Geister ihren
persönlichen Gott nur in Widersprüche. So bleibt leider bestehen, daß sie dem mit Kirchenvorstellungen
gefülltem Hirn des Referenten nur eröffnen, was er schon selber glaubt: ein erkenntniskritisch begreiflicher
Vorgang, der aber die Wahrheitsautorität seiner Besucher sehr schmälert. Wohlgemerkt schließen wir jeden
Schwindel aus, wenn sie ihrem Medium die Hand führen, die im Trance ihr Diktat schreibt, zumal es ja auch
Bemerkenswertes enthält, wofür wir freilich gern Owens eigenen Intellekt prüfen möchten. Übrigens
wird zufriedenstellend beschrieben, welche Methode bei den Besuchen befolgt wird, welche Schwierigkeiten die Astralen zu
überwinden haben, um durch den »Schleier« oder »Wall« in die Erdatmosphäre unterzutauchen,
just wie man Taucher von oben her durch Helfer ihrer eigenen Sphäre mit Luft versorgt. Verwandte und Freunde ihrer
ersten Sphäre stellen fest, daß diese nur eine verbesserte leidfremde Erde voll ewigem nachtlosen Sommer sei, und
da können sie sich mit Raymond Lodge und andern Spirits die Hand schütteln, denn die erzählen Ähnliches.
Aber daß Gewaltige der zehnten Sphäre, die Fürsten Astriel, Sobdiel und »Führer«, sich zu
diesem jungen Vikar herablassen, wodurch gewann er solchen Vorzug, während der weltberühmte Oliver Lodge so viel
mindere Erleuchtung genoß?
Lodge glaubte schon früher an die Geisterwelt, Owen bekundet, er sei oft von Zweifeln geplagt, ob alles nicht
Selbstsuggestion sei. Die Geister sagen, sie hätten es auf ihn abgesehen, weil sie ihn schon lange beobachtet und
vorbereitet haben, doch ohne Angabe der Gründe für ihre Wahl. Die Danteske Phantastik vieler Ausmalungen spiegelt
nur menschliche Handlungs- und Gefühlsimpulse in vergrößertem Format wider, doch das unverkennbare
dichterische Talent und gar die bedeutenden Ideen, welche die Herren aus der zehnten Sphäre vortragen, entspringt dies
nicht vielleicht nur Owens eigenem Unbewußten unter Geisterberührung? Daß er kein Honorar für Abdruck
seiner Botschaften nimmt, bedarf er dessen, den jene hohen Herren ihrer Freundschaft würdigen, neben denen Shakespeare
und Napoleon nur armselige Schlucker wären! Von Rechts wegen sollte man einen so Begnadeten zum Erzbischof ernennen!
Scherz beiseite, als Literatur vom Schlage Defoes oder Wells wäre die Leistung sehr ansehnlich. Viele Gründe
sprechen gegen Schwindel, wenige aber dafür, daß trotz wirklichem Kontakt mit Übernatürlichem hier
Selbsthypnose ausscheidet. Denn der Anschauungskreis bleibt immer der eines englischen Pfarrers. Warum berühren die
Geister nicht Weltkrieg und Weltrevolution? Weil jene Rolle, die Christentum und England dabei spielten, das Hirn des
Pfarrers in Bedrängnis brächten! Keine Wahrheit, die er nicht in sich selber spürt, erschließen ihm die
himmlischen Besucher. Diese »freuen« sich über göttliche Weisheit, wenn sie von ihrer höheren
Zinne bestialen Lebenskampf beschauen? Krebs, Syphilis, Lungenpest, Hungertyphus, alle Hospitäler voll
gräßlich Verwundeter, Erblindeter, Wahnsinniger, Not und Elend im Übermaß, Seelenleid jeder Art, Sieg
grausamer Wildheit – sind dies Liebestaten des Herrn Jesus für seine verirrten Schäflein? Nein, meine Herren
Geister, so geht das nicht. Wäre die Menschheit nicht böse von Jugend auf, so wäre Gottes Verhalten ungerecht
und auch so lieblos. Ein Büttel, der seine ungeratenen Kinder maßlos quält, erzieht nicht zum Guten. Um dies
zu verschleiern, borgt sich die Theologie von ihren Feinden die Evolutionsphrase und hantiert lustig weiter mit freiem
Willen, wobei das Böse auch hienieden bestraft wird! Oho! »Malheurs de la vertu«, »Delices du
vice« lauten Sades famose Romantitel, auf diesem Wege gibt es keine moralische Weltordnung. Kehrseite der Medaille: Der
Mensch ist unfrei von Geburt, Gott kann ihn nicht lieben, darf ihn aber nicht hassen, weil er doch selbst die Unfreiheit
veranlaßt, statt dessen bereitet er noch besondere Schwierigkeiten, das Gute zu wählen und an seine Gerechtigkeit
zu glauben. Und was treibt seine Allmacht, da er als persönlicher Gott doch alles
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