Der Aufgang Des Abendlandes
dem Wassertropfen kann sich Newton Umfang und
Wesen des Ozeans konstruieren, nicht aber Brandung, Ebbe, Flut, Sturm. Erst durch Vergrößerung erhalte die Erde
ihre Atmosphäre und hierdurch organisches Leben, die Sonne ihre planetenwärmende Energie. Also dürfen wir Gott
als ungeheure Vermehrung unserer eigenen Psyche denken, doch gerade seine unmeßbare Größe verleiht ihm
bestimmte neue Attribute, von deren unheimlicher Erhabenheit unsere Kleinheit keine Vorstellung hat. Ferner: Wir wissen
nicht, was für uns »Wunder« bedeutet. Denn spürt man die Erdschwingung, deren furchtbare Eile in jeder
Minute uns fortreißt? Während die Wissenschaft nach soliden Unterlagen sucht, ermöglicht gerade immaterielle
Basislosigkeit das Bestehen der Erde, deren unablässiges Raumdurchkreuzen jeden Augenblick durch Kollision sie
vernichten könnte. Daß sie unangefochten und dabei stets unter Sonnenbestrahlung bleibt, ist ein ungeheuerliches
Wunder, dessen vorbestimmte Notwendigkeit nur auf supranaturelle Leitung verweist. Biblische Wunder, heute als Hypnose oder
sonstwie kommentiert (in Corellis »Zwei Welten« wandelt Jesus auf dem See durch akkumulierte elektrische Kraft),
sind daneben so unbedeutend, daß es nicht darauf ankommt, ob man auch die sichtbare Himmelfahrt wörtlich glaubt.
Man muß sich bescheiden und Ausdrücke besser wählen. »Auferstehung der Toten«? Was starb,
nämlich Zusammenfügung von Erdatomen, aufersteht nicht; was aufersteht, starb nie. Jedenfalls, wie Lodge zugibt,
behält Psychoenergie ewig die ihr natürliche Fähigkeit, sich eine Hülle zu schaffen, daher als
Astralkörper zu manifestieren. Das Reichenbachsche Od, wie wir ergänzen, eine auf die Nerven reagierende Kraft, die
wohl mit Erdmagnetismus in Beziehung steht, bildet eine Aura um den Menschen, durchdringt die Materie mit gewissen Wellen.
Diese Strahlenemanation, zu der wohl auch die Radioaktivität gehört, beeinflußt möglichenfalls das
»Tischrücken« und jede Fernwirkung. Nur Aura spiritueller Kräfte sei der Körper, behauptet
Stevensens Jeckyl. Übersinnliches ragt stets in Physikalisches hinein, kein physisches, wo kein metaphysisches
Gesetz.
Wohl sind wir über die Zeit hinaus, wo Feuerbach dekretierte, Psychologie sei nur ein Kapitel der Physiologie. Doch
mit Wundts Dualismus befreunden wir uns nicht, da er sich hütet, einen beherzten Strich unter sämtliche
mechanistischen Lebensauffassungen zu setzen. Gerade der wahre Transzendentalist denkt monistisch, indem er Körperliches
nicht als Parallele, sondern subordinierte Erscheinung der Spiritmagie erkennt. Daher bleibt auch der »Klarismus«
unklar, den E. v. Kupfer als »Urzweiheit« aufstellt, Gottes Klarwelt und des »Naturchaos Wirrwelt«.
Dies wirre Chaos besteht ja gar nicht, und daß Organisches das Primäre und Unorganisches nur dessen Schlacke sei,
ist zwar eine Absage an die Evolutionsphrase, aber die »Eigenwesen« als Träger alles Werdens einsetzen, dem
Individuellen selbstgestaltende Umarbeitung der Materie zusprechen ist nur eine andere Wendung von »Welt als Wille und
Vorstellung«. Das führt dazu, auch die Unwirklichkeit der Zeit zu bestreiten und einen freien Willen als Gebieter
vorzuschützen, denn Kausalität sei nur Summe von Vorwirkungen, bei denen jedes Eigenwesen freihandelnd mitschaffe
mit einem »Rhythmus«, dessen Wirkung das zweite Gesicht vorausberechnen könne! Doch wer außer
verbohrten Materieanhängern hielt denn je Kausalität für reine Mechanik ohne Einwirkung von Psychodynamik,
deren Rhythmus aber kausal und Befreiung des Wülens unmöglich ist, jeder Entschluß von Eigenwesen schon
selber determiniert. Auch wollte Kant den Zeitbegriff ja nicht empirisch antasten, da man sich den allem Denken nötigen
Kausalnexus nur als zeitliches Nacheinander vorstellen kann. Vor dem höchsten Denken, wie es weder Kant noch Buddha
allseitig vertraten, sind allerdings Sein und Werden, Ruhe und Bewegung eins, wodurch Kausalität, Zeit, Raum von selber
aufhören. Doch innerhalb des Materiescheins bleiben diese Illusionen für uns empirisch wahr. Selbst hier gibt es
nicht unterschiedliche Zweiheit, denn Eigenwesen sind in gleichem Grade Illusionen wie Zeit, Raum, Kausalität, innerhalb
welcher sie ja allein Wirksamkeit besitzen. Wohl differenziert sich das Weltreich in zahllose individuelle Vielheiten, diese
stellen aber die Welteinheit so dar, wie Atome und Zellen ein einheitliches Individuum. Wer Zeitlosigkeit nicht
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