Der Aufgang Des Abendlandes
ich nach ruhevollem Tod«, beichten Shakespeares
Sonette. Nichts trauriger als Anklammern verzweifelnder Geistmenschen an ein Diesseits, das ihnen nur Unlust bereiten
muß. Wer sich heroisch aufschwingt, wie oft erlahmt sein Fittich! der Materie eintöniges Tropfen höhlt den
Stein. In solchem Gedankenkreis bewegt sich jeder Gottsucher, den christliche Schönrederei nicht blendet, doch
allzumenschliche Stimmung muß überwunden werden. Des Waldes geheimnisvolle Heilgymnastik für Pflanzen und
Tiere waltet auch in der Menschenwildnis, schafft Raum und Licht, daß hohe Wipfel die Sonne schauen, Singvögel
ihre Nester bauen und Eichhörnchen nach droben turnen. Der Adler, den Johannes schaute, wird ewig am Himmel schweben.
Beliebige Molekülen im Äther können keine Psyche ausmachen, bloßer Lebensodem des Äthers nicht
einer Neugeburt Individualität verleihen, sonst würde man dazu kommen, jedes Atom für einen besondern Spirit
zu halten. Daß die Individualpsychen immer wieder zurückkehren, zeigt die Unzerstörbarkeit jeder
Rassenpsyche. So erbte die Romkirche genau den herrschsüchtigen Imperialgeist der Römer, die griechische mit
Systemen und Sekten alle Vorzüge und Fehler der Hellenen. Die Patmosschauung als beweisbare Voraussicht des unsichtbar
Werdenden muß uns Mut machen, kein zeitlicher Tod ist möglich in zeitloser Zukunft, das Geistige kann sich vom
Stoffe lösen. Gott aber ist nicht Stoff, also nicht Person, nicht Einzelwesen, also nicht Persönlichkeit, nicht
Geist, also nicht bloß Immanenz der Menschenpsyche, nicht alliebende Allseele, also kein dem Lebensjammer gelassen
zuschauender »Vater«, sondern ein mit sich selbst ringendes Unvorstellbares, in dem Stoff, Kraft, Geist, Seele
sich zu unbegreiflicher Einheit verknüpfen. Sein Name ist: Ich bin, der Ich bin, Ich war, der Ich war, Ich werde, der
Ich werde. Das allein ist nicht relativ.
»Plötzlich stößt Mathematik auf eine Grenze ... daß Probleme, die in der Natur liegen und von
ihr selbst gelöst werden, dem Menschen unlösbar bleiben, so führt Mathematik mathematischen Beweis für
Existenz der Gottheit« (Prinz Hohenlohe: »Aus meinem Leben«). Schellings »Natur in Gott«,
Goethes »Gott und Natur sind eins nur« degradieren das Selbst aller Selbste zum Naturwesen, »Gott mag unser
so wenig entbehren wie wir sein« (Tauber), man setzt ihn trotzdem außer sich, Gott bleibt immer Du, sein
»Selbstbewußtsein« (Hegel) stößt als Überpersönlichkeit sein Werk von sich ab.
14. Unnatur der Naturforscher, Unbelehrbarkeit der Verlehrten.
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Da systematische Durcharbeitung, wobei Arbeitskraft und Arbeitsteilung in genauem Verhältnis stehen, sich in der
sichtbaren Materie nicht verkennen läßt, so schwächt Vorwitz dies ab: Die bewußtlose Natur tue nur so,
als seien ihre Werke und Wirkungen bewußt. Doch kraft welcher Messung will man bewußt und unbewußt in der
Natur unterscheiden! Man operiert hier einfach wie mit Kirchendogmen, schließt eine Menge Dinge aus eingebildeter
Voraussetzung. Bei Todesstrafe, für unwissenschaftlich zu gelten, darf man aus der Planmäßigkeit des
Naturbetriebes, die sich trotz einzelner scheinbarer Abirrungen dem Augenschein aufdrängt, beileibe nicht auf hier
waltende Bewußtheit schließen. Warum darf man nicht natürliche Logik ziehen? Einfach weil Mechanik Trumpf
sein soll und diese sich mit Bewußtheit nicht verträgt. Vollbringt das Genie seine Schöpfung ohne
Bewußtsein? Seine Schöpferin Natur hat sich aber wohl bei ihren unbegreiflich hohen Werken bis zur
Bewußtlosigkeit überarbeitet, so daß sie fortan im unbewußten Dämmerzustand duselnd
weiterproduziert! Unwissenschaftlicher als solche Gewaltsamkeit verfährt kein Tridentiner Konzil. Es wäre schon
Willkürdiktat, wenn das, was man Bewußtsein nennt, sich nirgends in der Materie nachweisen ließe, denn ein
Fehlen sichtbarer Beweise würde für voraussetzungsloses Denken noch gar nichts beweisen. Doch der einzige uns
wirklich bekannte Bestandteil der Natur, das organische Leben, ist Bewußtsein vom Genie bis zur Pflanze. Da liegt
vielmehr die Folgerung nahe, daß alle Planeten, wie die Inder und Fechner annehmen, und sogar alle Elementargebilde
(siehe Shelleys Personifizierungen »die Wolke«, »der Westwind«) bewußte Lebewesen seien, deren
Handlungen zwar einem noch höheren Wesen der Allnotwendigkeit gehorchen, aber von sich aus sich gerade so individuell
betätigen wie irgendein
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