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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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wahren Schauer mit der indischen
Urweisheit und den christlichen Mystikern einig. Den Verborgenen kann man aber nicht mit Materiefernrohren erblicken.
    Kant und Klopstock begrüßten treuherzig den Pariser Feuerschein als Morgenrot, doch deutscher Brennstoff lodert
anderswo. Als die Vernunftelei mit den Weimarern einen »Spaziergang« durch die Allee der »Ideale«
machte und klassizistisches Techtelmechtel mit Messinabräuten, Jungfrauen von Orleans, natürlichen Töchtern
den guten Ruf der Dame Muse mit Geheimnissen einer alten Mamsell befleckte, da hob ein neues Götzgeschlecht die eiserne
Hand und erschreckte das Firmament mit Lanzensplittern vor der künstlichen Burg des bösen Zauberers Klingsor. So
schimpfte Goethen der Ritter Novalis-Ofterdingen, der freilich nie ein Nibelungenlied aus des Lebens bitterm Born
geschöpft hätte. Seine lyrische Silberader wird sehr überschätzt, in Tiecks mondbeglänzter
Zaubernacht geisterte es feiner von magnetischen Perllichtern, Wolkenphysiognomien, verwunschenen Bergnasen, als in Novalis'
Leichenliebe. Doch als Bergwerksassessor des Subliminalen fuhr der Moriturus in tiefe Schächte, förderte okkulte
Erze und blaue Blumen. Das ungebärdige Zurückwerfen der Kant-Goethischen Vernunftmajestät entsprach
»immanenter Gerechtigkeit« (Gambettas glücklicher Ausdruck), weü der Altmeister vielen Idealen seiner
Jugend untreu wurde, Shakespeare an Voltaire verriet, abtrünnig ein unechtes Land der Griechen mit der Seele suchend, um
Frau v. Stein oder Frl. v. Imhof antikeren Faltenwurf oder Leonorenmieder auf den Leib zu probieren. »Sie saßen
und tranken am Teetisch und sprachen von Liebe viel.« Heute macht man den Geheimrat der Poesie, die durch den alten
Herrn aufs Glatteis, wie durch Kotzebue auf den Hund kam, zum Nationalgötzen, wie schon Schlosser grimmig fauchte, die
Goethereifen sind aber zu unreif, um sich seine beißenden Maximen über Wissenschaftler und Naturforscher hinters
Ohr zu schreiben. Nicht der gezierte Steifbold mit dem Ministerstern auf der Brust, dessen feierlicher Grandezza sein
jovialer Herzog zurief: »Kerl, mach' kein dummes Zeug!« und dem der tiefe Denker und geniale Plauderer
Grillparzer so bitterböse gram wurde, sondern der einsame Gewaltige, dessen geheime Tragödie wir ahnen, verdiente
nicht, daß sein glorreiches Andenken von einer Kaste bebuhlt wird, die seine philiströsen Schwächen und den
heidnischen Hosenlatz beweihräuchert, doch von seiner heimlichen Dämonie nicht einen Hauch verspürt. Er
wäre der Allerletzte, den die Schulmeistersippe als Kollegen verehren sollte. Der Amerikaner Ticknor schüdert 1815
Goethes düstre Abgeschlossenheit und Menschenscheu, der Engländer Crabb Robinson rief der Staël zu: »Sie
werden Goethe nie verstehen«, doch wie wenig er Goethe begriff, zeigt sein Triumph, 1851 in Berlin Rankes englische
Gattin von Byron bekehrt zu haben, zu dem Goethe allein als wahlverwandt sich hingezogen fühlte. Laut Lourier soll er
kurz vor seinem Tode ein Schriftstück vergraben haben, das er laut Brief an Humboldt in halb bewußtloser
telepathischer Verzückung verfaßte. »Dämonie«, »Magie« sind die Gaben immanenter
Gerechtigkeit an jene, die sonst in der Alltagswüste verdorren müßten.
    Doch aller Selbstvergottung vergeht der Übermut, Luther sagt bündig: »Der Name Freier Wille ist ein Titel,
den Niemand führt als Göttliche Majestät.« Gottes »mütterliche«(!) Liebe wird von
Wilberforces duftiger Unschuld plötzlich gerettet durch Bekenntnis zur Willensunfreiheit, während der Indologe
Schröder »Willensfreiheit zum Glauben« ins Treffen führt, Deussen sekundiert, Determinismus sei
Anarchismus, später sagt er genau das Gegenteil: sie und ihr Gott scheinen schwach in der Logik. Bayles böser
Demiurgos und die Teufelsanbeter in Mosul stimmen zur Apokalypse, daß Gott auf lange die Erde dem Drachen
überlieferte. Gott will und kann die Kausalität des Bösen nicht ändern, gestundete Schuld wird
plötzlich einkassiert, der Verbrennungsprozeß geht seinen Gang, jedes Häuflein Asche wird zur Wiedergeburt
zusammengefegt. (Beiläufig erbost sich Orthodoxie über Reinkarnierung, obschon Ev. Matthäi sie
ausdrücklich anerkennt, Johannes sei einst Elias gewesen.) Ist das Böse das Nichtseinsollende, warum behält es
seine dämonische Macht? Als Welt- und Nachkrieg vom radikal Bösen die Maske abrissen, wo waren die Reverends, die
dem Lügenfeldzug ihr Ohr erschlossen? Die

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