Der Aufgang Des Abendlandes
Wissenschaft auf und befindet sich wohl dabei in einer Gesellschaft, die alles Geniale verfolgt und
das Professorentum als Geist von ihrem Geist päppelt. [Fußnote]Auch jener Holländer, der als
»Multatuli« künstlerisch Hilfloses, doch tiefe Lebenserkenntnis schrieb, verhöhnt treffend diesen
Spezialismus als »Straßenkehrer« mit dem wichtigen Zusatz, daß berufliche Straßenkehrer
obendrein ihre Arbeit, der sie Wichtigkeit beimessen, nachlässig und unvollkommen besorgen, also nicht mal ihrer eigenen
Nichtigkeit gerecht werden. Wenn man über Philologen spottet, die würdevolle Dissertationen über einen hohlen
Zahn von Sesostris oder des Kaisers Bart ausschleimen, wenn Goethes vernichtendes Urteil paßt, den Wissenschaftlern sei
es nicht um Wahrheit, sondern um Rechthaberei zu tun, ist es in der Naturwissenschaft besser bestellt? Kratzendes Stimmen
blinder Musikanten, Taktstock unbekannten Kapellmeisters, unsichtbarer Komponist, Incognito-Regisseur! Selbst
grammophonisches Orchester, wer stellt Walzen ein, wo der Tonsetzer? Grault man Schimpansen aus Proszeniumslogen fort,
gebührt dem Menschen Zuschauerbillett I. Klasse? Er bleibt Selbstakteur im Kasperletheater. Selbst wenn sich einige
Größen wie Newton, Herschel, Arhenius, Hertz einiger Bescheidenheit vor dem Unsichtbaren befleißigen, so
können sie unmöglich ein Weltbild gewinnen wegen ihrer Unbildung auf allen andern Gebieten. Von Newtons Werk wird
wenig übrigbleiben, insofern Attraktion (laut Leibniz »unerklärlich«) allein keineswegs die kosmischen
Bewegungsmoden erschöpft, da Kepler und Brahe wie Pythagoras die Planeten für rationale Intelligenzen hielten. Von
Kant aber, um den andern Pol zu nennen, bleiben nur seine späten Lichtblicke, wo Verleugnung dessen, was für seine
Bahnbrechung gilt, die Grenzen rationalistischen Erkennens zu überspringen hofft, denn diese Grenzen bestehen nicht in
dem Grade, wie man es gern von Kant ableitet, während man es törichterweise für unbegrenzt im Sichtbaren
hält. Erweckung des Unbewußten erweitert diese Grenzgebiete, in die auch das begrenzste Sichtbare
hinüberschimmert. »Kann die Materie zur Erde fallen, ihr wißt nicht warum, so kann sie auch denken, ihr
wißt nicht warum«, spotten Schopenhauers »Parerga«. Und wenn der Mensch denkt, er weiß nicht
warum, so denkt er Gott, er weiß warum.
15. Immanente Gerechtigkeit und kein Untergang.
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Nur von einer Lichtwelle der Ideenelektronen läßt sich Scheidung der heute wogenden geistigen Nebelgase in neue
Gebilde erwarten. Nur Ideenerkenntnis kann über dem sozialen Chaos tagen: Es werde Licht! Chamberlain empört sich
in seinem Kantbuch über »geistigen Verfall, beschränkte Empirie« der Naturwissenschaft, von der unserer
gesamten Kultur die schwerste Gefahr drohe, zeigt sich aber in seiner Bekrittelung indischer Denkart und seiner Abneigung
gegen Giordano ganz im Banne der »Exaktheit«, wobei er schwere Entstellung nicht scheut. Es erheitert, wie er
innern Zusammenhang von Kant und Plato herstellt, sich aber an Platos »Erinnerung« vorbeidrückt, statt den
Satz »das frühere lieben, wo wir Gott nachwandelnd Wahrheit erblicken« einfach als Reinkarnations- und
Karmalehre zu lesen, wie denn Emerson richtig Platos Berührung mit indischem Denken erkannte. Da Brunos Verwandtschaft
mit Plato, gegen dessen Antipoden Aristoteles er sich ja hauptsächlich richtet, auch im Umweg über die
Neuplatoniker offenkundig ist, so darf man sein Innen Schauen gewiß nicht in Gegensatz zu Plato und Kant stellen.
Gerade Plato ahnte zuerst, daß der Sehnerv im Hirn und nicht im Auge liegt. Der Durchschnittsmensch, dessen Blick
oberflächlich an den Erscheinungen haftet, »schaut« nichts, er »sieht« nur, was der
Sprachgebrauch unterscheidet. Alles wirklich Geschaute wird von innen heraus betrachtet und das Betonen des
»Schauens« schielt zweideutig, wenn man dabei das leibliche Auge nach außen strahlen läßt.
Buddha nannte seine transzendenten Tiefblicke sehr richtig Schauungen. Goethe verfuhr auch als Naturforscher wesentlich
ideenbildend, nicht experimentell. Der zuletzt in theosophischer Mystik Gelandete wußte nur noch von innerm Schauen,
»jedoch im Innern leuchtet helles Licht« und Sätze Brunos werden wörtlich kopiert: »Das Zentrum
suche du da innen!« »Was wäre ein Gott, der nur von außen stieße!« Denn daß Gott in
der Welt sein muß, zugleich immanent und transzendent, darüber sind alle
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