Der Aufgang Des Abendlandes
dafür sprächen. »Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft
übereinstimmt, was zu deinem und aller Lebewesen Wohl dient, nimm als Wahrheit an und lebe danach«
(Angukara-Nikaya). Können Materialismus und Theologie so viel für sich sagen? Spencer ging aus wie Saul, um den
Esel der Naturforschung zu fangen und auf ihm zu reiten, und fand ohne Wunsch und Willen ein unbekanntes Königreich der
»unbekannten Kraft«. Natur als erste Ursache sei wesentlich das gleiche wie Bewußtsein, Gedanke das Ding an
sich der Realität! Das mußte seine darwinistischen Freunde schmerzen, denn was hilft Anerkennung ihrer Evolution,
wenn diese keine Realität hat!
Weil bilderschaffender Künstlergeist in allem lebt, gibt es nichts Totes. Holz, Stein, Mineral befinden sich in
unaufhörlicher Schwingung ihrer Teilchen, so rasch, daß keine Bewegung wahrnehmbar: so vollzieht sich auch
Umbewegung des Todes so schnell, daß nichts von ihr zeugt als Stillstehen des Herzschlages, so unsichtbar wie alles
Feinstoffliche um uns her bewegt. Indem Faraday die nur ideell vorgestellten Atome »Kraftzentren« nennt, begibt
er sich von vornherein des Wissens, was Materie sei. Elektrizität immaterielles Fluidum? Man akkumiliert sie beliebig,
zieht sie auf Leydener Flaschen wie Blavatzky spöttisch bemerkt, wir fragen nicht minder ironisch: ist auch Wasser ein
immaterielles Fluidum? Zieht man nicht aus ihm Elektrizität und stellenweise Radium? Die elektrische Vorratskammer ist
sicher Materie, doch so fein, daß der Stoffler vor ihr ratlos steht, wer hörte je von unsichtbarer Materie, nicht
wahr? Licht ist nur Bewegung? Nach einem bestimmten Experiment wird ein polierter Stock binnen 15 Stunden so damit
imprägniert, daß er nach 24 Stunden im Dunkeln auf lichtempfängliches Papier ein genaues Abbild seiner Form
abdruckt. Also ist Licht selber eine Kraft, die ein Residuum von sich auf Gegenständen zurückläßt, bei
Brenngläsern und Sonnenbädern könnte bloße Bewegung nicht so lokale Wirkung ausüben,
hinterläßt etwa der Wind auf Haut oder Gegenstand Abdrücke von sich? Metcalf stellte fest,
»Wärmestoff« sei nicht Bewegung und Schwingung wägbaren Stoffes, sondern selbst Kraftsubstanz. Das ist
sonnenklar: Wäre Wärme nur Qualität, könnte sie nicht das Volumen anderer Körper vermehren, sie hat
also selber ein Volumen im Raum als eine für sich bestehende Substanz. Schon Leslie erkannte aber, daß Wärme
und Licht nur Metamorphose des andern sind. Nun wohl, so kann auch psychische Bewegung nicht bloße Sekretion und der
Mensch, ihre Ursache, nur ihr Konduktor sein. Alle Bewegungen sind nur Kraftphänomene unbekannter Wirklichkeit,
während der berühmte Stoff selber so unbekannt ist, daß Tyndall bestätigt, was Faraday bekannte: man
wisse nicht, was Materie sei. Schellings »Ideen« nennen es »Phantasietäuschung, daß von Kraft
etwas bleibe, wenn man sie ihrer Prädikate entkleidet«. Das ist selber Täuschung, Kraft besteht nicht aus
Eigenschaften, ihre Wirkungen sind nicht sie selber, Homer bliebe Homer, wenn man ihm seine Werke entzöge. Die uns
bekannteste Kraft, der Mensch, kann von ihren Prädikaten nur durch Vernichtung entblößt werden,
Naturkräfte aber sind unzerstörbar, in Wundts »Theorie der Materie« werden die Atome als gänzlich
qualitätlos bezeichnet! So hebt immer eine Theorie die andere auf. Es sei unmöglich, Materie als Synthese von
Kräften aufzufassen? Vielmehr ist unmöglich, irgendeinen Stoff ohne seine wechselnden Beziehungen zu andern Stoffen
abzusondern, der Sammelname Materie kann nur als Summe von Kräften und Stoffen gedacht werden, ihre angebliche
»Trägheit« anerkennt so Newton als ruhende Kraft. Indessen ist Schwerkraft außerhalb der
Körperformen im offenen Raum, so daß man Kraft nicht im Atom, sondern im Zwischenraum der Atome suchen muß.
Ist das Atom unteilbar und doch elastisch? Seine Teilbarkeit anzunehmen »bedeutet Zweifel an Existenz der Materie
selbst« (Büchner)? Dann steht es schlimm, denn seine Zerlegbarkeit ward jüngst experimentell nachgewiesen,
alles Elastische ist aber veränderlich, ein Todesurteil für Mechanistik. Denn Teilbarkeit der Atome löst die
Materie in lauter Einzelheiten auf. Sagt es nicht zu Askalon auf den Gassen, wir Philister bleiben immer Goliaths!
»Heute sind Gelehrte dünkelhafter und bigotter als die Klerisei« klagt Blavatzky, das weiß sie erst
heute? Mit Recht zitiert sie Montaignes
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