Der Aufgang Des Abendlandes
Vorsichtsmaßregel übersah. Denn die einzig richtige Folgerung ergibt, daß der Mensch selber seine subjektive
Sehart in die Natur hineinpaßt und dies Schielen dann als objektiven Augenschein ausgibt. Farbenanpassungslehre hat
überall Löcher, denn die mitten im Grün wachsenden Blumen spielen in allen möglichen Farben, nur keinen
grünen, und die Giraffe hat ein rötliches Fell wie der Tiger, obschon sie nicht im Dschungel lebt. »Wer die
Anpassung in ihren Ursachen erklären könnte, wäre mitten im Geheimnis der ganzen Entwicklung«
(Bölsche)? Wer nicht mal nötige Ursachen für eine behauptete Tatsache kennt, sollte mit solcher Behauptung
hintanhalten. Für so viele Zweckmäßigkeiten zur Lebenserhaltung kann man nur Weltfürsorge unbekannter
Ökonomie ahnen, womit wir wieder bei der »Vorsehung« anlangen. Denn daß die Laubfrösche
ursprünglich nicht alle grün, die Hasen nicht alle braun waren, sondern zufällig die grünen und braunen
als passendste überlebten, ist reine Träumerei der Einbildungskraft, auf welche schwungvolle Eigenschaft die ganze
Lehre sich aufbaut. Eine unbeweisbare Fiktion als Ursache einer schlichten Tatsache unterschieben und dabei vergessen,
daß wir bei einer kleinen optischen Änderung die Hasen rot, die Laubfrösche blau sehen würden und wir
schlechterdings nicht wissen, ob deren Tierfeinde sie braun und grün sehen! Wenn Tiere sich zuvorkommend dem Schein
unserer Augen anpassen, wie vollbringen sie dies metaphysische Kunststück? Warum sie aus eigenem Antrieb sich diese
Mühe geben, da nicht vom Menschen allein ihnen Gefahr droht? Die ganze Farbenmimikry, für die man nur beim
Chamäleon irgendwelchen Anhalt hat, läuft auf anthropomorphische Einfalt hinaus, als ob unsere unbedeutende
Wahrnehmung sich mit der Wirklichkeit deckte.
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Wie der Amphioxus (Lanzettefisch) zum Molch, zum Schnabeltier, das seine Eierjungen säugt, zum Känguruh (mit
Vorderfüßen als Greiforgan), zum Affen und Menschen wird, ist eine so unglaubliche Geschichte, daß beim
Schlußprodukt die Darwinisten nicht ein noch aus wußten. Den Neanderthaler hielten sie zunächst für
Anthropoiden, das medizinische Orakel Virchow für einen abnorm krankhaften Menschen, während ein Blick auf die
Rundung und Symmetrie dieses Schädels und anderer gleicher Gattung die hohe Menschlichkeit des Urahnen bekundet. Dem
Dubois-Affen maß sein Entdecker einen fabelhaften Innenraum seines Schädeldachs bei, Schwalbe und Cunningham
konnten sich hier leider nur zu einem Gibbonaffen aufschwingen. Haeckel stieß ja auch ein Triumphgeschrei aus, er habe
die Urzelle leibhaftig erschaut, bis man ihn mikroskopisch belehrte, daß er unorganischem Kalk pietätvollen
Ahnenkult widmete. Aus der verständigen Umwandlungslehre Lamarks, daß die Außenwelt nebst Gebrauch oder
Nichtgebrauch einzelner Organe individuelle Änderungen hervorruft, die unter Umständen sich vererben, wogegen
niemand etwas einzuwenden hat, machte Darwin eine Fabel gleich Ovids Metamorphosen. Auch Lamarks Lehre bedarf einiger
Vorbehalte, denn weder einseitige Bizepsausbildung des Athleten noch einseitiges Talent vererben sich. Der Maler Vernet sagte
von sich, er sei Sohn und Vater eines großen Malers, dies Beispiel steht aber einzig da; Vererbung
naturwissenschaftlicher Neigung von Darwins Großvater schlug schon bei dessen eigenem Bruder ins volle Gegenteil um.
Horace Vernet war kein wirklich großer Maler, konnte daher von einem unbedeutenden Vater und leidlich talentvollen
Großvater wenig erben. Das Überspringen von Mittelgliedern, wie man bei Friedrich d.Gr. Großmutter und
Urgroßvater heranzieht, gehört zu den Freuden der Vererbungstheorie, versagt aber bei fast allen bekannten
Fällen und verliert sich ins Abstruse gemäß der Gepflogenheit, dem Sohn eines Zimmermanns einen Stammbaum bis
David beizulegen. Denn der Mensch paßt die Dinge seinen Vorurteilen an. Die unendlichen Spielarten der Vererbung
– wobei das Versehen der Schwangern eine bedeutsame Rolle spielt und fremde Ammenmilch erheblich mitspricht –
würden angebliche Übergänge gut erklären. Wenn heutige Kritik am frühesten natürliche Zuchtwahl
verwarf, weil nur der Pferde- und Schafzüchter künstliche Paarung betreibt und die Natur es sonst zu verbieten
scheint, so kann in Urzeiten recht wohl Bastardisierung erfolgt sein. War doch Sodomiterei noch in historischen Zeiten
verbreitet, wie denn die Sage nach Sodoms Untergang die Gegend
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