Der Aufgang Des Abendlandes
plötzlich mit Affen bevölkert sein läßt,
und durch geschlechtlichen Umgang verschiedener Tierarten lassen sich Formabwandlungen zwanglos vorstellen. Dann muß
man aber bei physischen Abnormitäten wieder psychische Anreize voraussetzen. Einheitlichen Bauplan aneinandergereihter
Stufen vermittels uranfänglicher Kraftanwendung für möglich halten, widerstrebt dem modernen Enthusiasmus
für Zufall und Mechanik; indem Huxley und Darwin jede Vorsicht abstreiften und unbescheiden einen neuen Dogmenglauben
dekretierten, fühlten sie, daß ihre Mythologie sich wunderschön dem Zeitgeist anpaßte. Das war kausal
notwendig wie die andere Abart der gleichen Grundstimmung in Nietzsche, der das Recht des Stärkern fälschlich als
natürliche Auslese proklamierte. Wir müßten uns wundern, wenn Darwin im Manschesterliberalismus und Nietzsche
im Wendepunkt von Großkapitalismus und Bolschewismus nicht entstanden wären! Wenn man sich dies Milieu wegdenkt,
so gäbe es keine Gläubigkeit für den Giraffenhals, der bei jeder Dürre um einen Millimeter wächst,
weil das sonst so launische Klima mit pedantischer Pünktlichkeit immer strengere Dürren verhängt, just um die
Giraffe in die Streckmaschine einer orthopädischen Anstalt zu nehmen! Warum stellte sie sich nicht wie jede Ziege auf
die Hinterbeine, um nach oben zu knabbern? Doch wo Marx die wirtschaftliche Dürre progressiv sich steigern und die
Gesellschaft nach allgemeinem Halsverrenken auf ein Prokrustesbett schnallen läßt, da nimmt man am progressiv
wachsenden Giraffenhals keinen Anstoß, in solcher Wüste wimmelt es von evolutionierten Kamelen. Das Wesentliche am
Darwinismus ist seine rohmechanistische Denkweise. Variation ist etwas Natürliches, neu nur die Auslegung, sie entstehe
wahllos zufallmäßig. In Wahrheit vollzieht sie sich weder regel- noch grenzenlos, nichts »schlägt aus
der Art«, veränderliches Wesen bleibt in Gebundenheit des Typs. Mustang, Pony, Rennpferd bleiben halt Pferde,
Mastif wie King Charles Hunde, alle Rinder stammen vom Ur und fallen bei Verwilderung in die Urform zurück. Haeckel
wetteifert mit Jules Verne, wenn er Stammvögel namens Tocornithes erfindet, er seiltänzert über Abgründe
mit geflügelten Schlagworten, die weder fliegen noch schlagen können, wie ein Archäopterix, der bald wieder
im. Schlamm kriecht, nachdem man ihm erdichtete Flügel anschnallte. E. V. Hartmann betont in »Probleme des
Lebens« sehr richtig, daß der Einzeller sich am besten anpaßt, Vielzeller also am schlechtesten der
Evolution dienen, volle Anpassung aber Stillstand bedeuten würde. Wer sich auf dies Gebiet begibt, muß notwendig
straucheln und ausgleiten. Hohles Phrasenecho bei Ungebildeten und Halbgebildeten wurde zu politischem Bauernfang erst gegen
Religion, dann gegen Ethik, zuletzt gegen jeden Idealismus. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen in umgekehrtem
Sinne wie Jesu stolzes Wort: »Wer meiner Lehre folgt, ward bald innewerden, ob sie von Gott ist.«
Mensch und Affe könnten von einem gemeinsamen Ahnherrn als Vettern abstammen? Solche diplomatisch schielende
Vorsicht, von der wir die Mehrzahl der Darwinisten freisprechen, denen die direkte Abstammung vom Affen am Herzen liegt,
vergißt nur, daß der ganze Darwinismus damit steht und fällt. Ist er wahr, dann müßte der Mensch
sich vom Affen entwickelt haben, d. h. aus einem Mammal, der keineswegs psychisch über andern höhern Tieren steht
und den als Ahnen zu grüßen viel erniedrigender ist, als wenn man die Araberstute zur Stammmutter hätte
(vergl. Swifts fürchterliche Satire von den Pferden und Affen). Wieso ein gemeinsamer Vater den Menschen mit all seinen
Möglichkeiten und den Affen mit all seinen Unmöglichkeiten erzeugte, wäre eine köstliche Deszendenz, die
wirklich nicht zuläßt, daß dem einen Sprößling lauter Fähigkeiten vererbt werden, die der
andere nie hat noch haben wird. Oder war der Urmensch ein plötzlich vom Himmel gefallenes Affengenie? Das ließe
sich hören, dann steht dies aber auf einem andern Blatt, der Psychelehre, fern physikalischer Mechanistik. In gleicher
Weise könnten dann Fische und Insekten, Reptile und Vögel gleichzeitig vom gemeinsamen Urzeuger ins Leben geschickt
sein. Nein, sei man doch redlich: daß der Mensch vom Affen kommt, ist der Clou des ganzen Darwinismus, le dernier cri!
Wie steht es mit dieser Familienchronik?
Der Affe, und zwar ziemlich die gleiche Gattung wie heutige, lebte in Europa
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