Der Aufgang Des Abendlandes
künstliche Abrichtung wie jede andere, keine besondere Erhöhung des Wesens. Der Mensch
zeigt sein Unverständnis, daß er über die nur durch besonderen Spieltrieb veranlaßte Grausamkeit der
Katze gegen die Maus zetert, während er sie doch zur Mäusejagd anhält. Die Katze ist sich bewußt,
daß ihre Herrschaft die schädlichen Nager vertilgt haben will, Naturtrieb also hier mit Pflicht
zusammenfällt. Die unbekömmlichen Feldmäuse frißt sie meist gar nicht, erst recht nicht die Ratte, ihren
verabscheuten Todfeind, der ihr doch persönlich nicht im Wege steht und dessen gefährliche Zähne sie
fürchtet. Wir kannten einen treuen Kater, der als Veteran stolz seine Wunden durch Rattenbisse zur Schau trug, immer
wieder ans Werk ging, die Unholde anzugreifen. Dieser Mäuse- und Rattenkrieg ist nobler als die Jagdpassion des Hundes,
der sich meist an Wehrlosen vergreift, wie sein plebejischer Schädigungstrieb nur solche Menschen anpöbelt und
beißt, denen er ansieht, daß sie sich fürchten, und sofort sklavisch den Schwanz einkneift, wenn man ihm auf
seine Frechheit gehörig dient. Vor der eigenen Katze braucht man die eigenen Küchlein und Kanarienvögel nicht
zu schützen, der gezähmte Löwe läßt die Hausgazelle im Kraal seines Herrn ungeschoren, einem als
Säugling auf einem Kriegsschiff erzogenen Tiger war alles heilig, was innerhalb des Schiffes war, dem Hund aber
muß man erst einbläuen, daß er die freundliche Hauskatze, die gern mit ihm spielen möchte, nicht
verfolgen soll. Der Hund, Genosse des Urmenschen, evolutionierte sich also nie, der arktische Hund, wohl die älteste
Hundeform, steht heute noch seelisch höher als spätere Hunderassen. Beiläufig erfreuen sich die Nager, zu
denen auch der Architekt Bieber gehört, einer höheren Intelligenz als die auf der famosen Stufenleiter höher
stehenden Gattungen. Die Ratte zeigt im Füttern von Alten und Blinden eine merkwürdige Ethik, ist gezähmt sehr
liebenswürdig, auch diese Art blieb aber beständig seit ihrem ersten Erscheinen. Überall, wo Vorwitz die Natur
zur Evolution auffordert wie beim Haustier, macht sie von so gütiger Erlaubnis keinen Gebrauch. Der gezähmte Affe,
auch der Anthropoide, bleibt hinter jeder Erwartung zurück, wenn man nur richtig sehen wollte. Sein erster Trieb, sobald
er sich im Spiegel sieht, will auf das Biest im Spiegel losspringen, wie die Mieze mit ihrem Pfötchen hinter dem Spiegel
die andere Katze als Spielkameraden sucht. Wenn er nachher erkennt, daß es sich um ein Blendwerk handle, so beruhigt er
sich damit und erinnert sich wohl dunkel, daß er seinen Umriß auch mal im Wasserspiegel sah. Wahrscheinlich
empfindet so jedes Tier, der gelehrteste Schimpanse bringt nichts weiter fertig, als sich auf einen Stuhl zu hocken und
möglichenfalls Messer und Gabel zu brauchen statt das Kotelett in die Pfote zu nehmen. Lauter Abrichtungskünste, zu
denen in anderer Form jedes Tier, selbst der Floh, fähig. Was er im Naturzustand für Kampf ums Leben leistet,
erhebt sich in nichts über üblichen Betrieb jeder Lebensform, bleibt sogar tief unter dem Niveau der Erbweisheit
vieler Gattungen. Vom untersten Wilden trennt ihn psychisch ein Unersetzliches, und das einzige, was ihn Menschen
ähnlich macht, sind Nachäfferei und dumme Bosheit. Was hilft die ausgebildete Hand des Gorilla, wenn er noch nichts
Besonderes damit anzufangen weiß? Es bleibt dabei, daß zoologische Verwandtschaft sich nur physisch
ausdrückt, psychisch in keiner Weise. Bedeutet Evolution, wohlgemerkt als mechanische Entwicklung, denn einen
psychischen Purzelbaum, wie das gelenkigste Äffchen ihn nicht physisch nachahmen könnte? So versessen bleibt man
auf die einmal ausgegebene Losung, daß de Vries seine Mutationslehre zum Darwinismus rechnet, obschon sie mit
äußerstem Gegensatz von Evolution hantiert, nämlich Revolution. Natürlich schlägt plötzliche
Zersprengung einer Art, um eine höhere neu zu schaffen, jeder Mechanistik ins Gesicht. Solche schon supranaturelle
Schaffensmethode würde freilich plötzliches Entstehen des Menschen sattsam erklären, doch genügen einige
botanische Beispiele, um allgemeine Revolutionierung der Natur zu begründen? Auf den Menschen angewendet, wäre es
ohnehin nicht statthaft, solange man ihn als Nachfolger des Affen anspricht, denn die anthropoide Gattung ist nicht
zersprengt, lebt wie vor alters neben dem Neger fort, unevolutionierbar, wie sie sich hat. Das hoffähig
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