Der Aufgang Des Abendlandes
spät erkannten Verständige,
daß dies mit sonstiger seelischer Verödung, mit nüchterner Dürre geschäftlicher Erwerbsgesellschaft
erkauft wurde. Angesichts der Abhängigkeit all unserer staatlichen oder künstlerischer Grundsätze von antiker
Tradition kann man über historische Evolution nur lächeln. Was wir hellenisch und römisch nennen, schufen nur
die Jonier, unter den Italikern nur die Lateiner, die Spartaner blieben geistig Irokesen, auch hier also Arten und Gattungen
streng geschieden. Die Beschämung verschlimmert sich, weil auch diese gepriesene Antike nur auf den Schultern einer
größeren stand. Hamurabis Gesetzgebung war großzügiger und moderner als die von Solon und Lykurg, als
Magna Charta und Code Napoleon, ohne Altägyptens Kunst wäre die von Hellas nie entstanden, auch besaßen die
Urahnen uns unbekannte Maschinen und Mörtel, ohne die Zyklopenbauten, Pyramiden, Babels hängende Gärten so
wenig möglich gewesen wären wie die uralten Nilkanäle und -schleußen. Die Semiten waren zu nichts
fähig als zu merkantilen Gründungen; Beständigkeit der Art, wohin man sie verpflanze, machte auch in Afrika
den Araber zum gleichen Mittelding von Händler und Räuber. Wenn nachher die Moslem in Spanien und Bagdad eine
sarazenische Kultur zustande brachten, so geschah dies durch Mischung mit der später gräkisch befruchteten
Urbevölkerung Babyloniens, in Neupersien mit den baktrischen Indogermanen, deren Sagen Firdusi auferweckte. Der geniale
Antisemit Nebukadnezar wollte durch Austreibung der Semiten ein sumerisches Neubabylonien wiederherstellen; die
staatsstrengen Assyrer, ein turanisches Mischvolk, hatten wenigstens rührende Ehrfurcht vor sumerischer Urkultur,
Assurbanipal war ein noch echterer grand monarque als der roi soleil, Ninive eine glänzendere zivilisatorische Hochburg
als Versailles. Assyrer und Babylonier verehrten gemeinsam den Literaturgott Nebo, auch hatte die heilige Bücherstadt
der in Kleinasien lange tonangebenden Hittiter vielleicht mehr Wert als Neueuropas Universitäten, wo die
»abgeschmackten« (Kant-)Verlehrten Stroh dreschen und jedem ein Bein stellen, der in die muffige Zunft Licht und
Luft einlassen will. Die äußere geistige Vorwärtsbewegung seit dem 16. Jahrhundert verband sich mit solchem
Verwesungsgeruch sozialer Übelstände, daß jene Babylonier, die sogar die moderne Frauenfrage lösten,
sich mit Ekel davon abgewendet hätten. Als die Konquistadoren ihre christliche Raubmörderei übers Meer trugen
und ihrer Goldgier, dieser erblichen Belastung der Weißen, harmlose Völker schlachteten, da reifen noch heute die
Früchte dieser schönen Evolution, die den Doppelkontinent mit Karmafluch belud. Ob die Pilgerväter als
Hexenverbrenner oder die Junker von Virginia als bibelgesegnete Importeure schwarzer Sklaven eine Kulturmission
erfüllten, als sie den Ureinwohnern ihre Jagdgründe stahlen und die Börse von Wallstreet errichteten,
dürfte dem Weltphilosophen wohl fragwürdig sein. Er fragt unbescheiden, was die alte vornehme Welt mit Dampfbahnen
und -schiffen, Telegraph, Telephon, Telefunken anfangen sollte. Ein Denker der Vorzeit würde eine Vision der Neuzeit als
Hölle verpöbelter würdeloser Unrast verabscheut haben. Diese ist freilich der heutigen Menschheit ganz
angemessen, sie schuf die häßliche Welt des Industrialismus nach ihrem eigenen niedrigen Bilde. Doch das gibt ihr
kein Recht, ihre Entartung seit 15+000 Jahren, wo Aurignacier und Mousterier ihre Künstlerhand erhoben, als
Aufwärtsevolution zu feiern.
Deshalb verlegt man sie ins unkontrollierbar Prähistorische, welche Rückschiebung wieder keine Logik hat, denn
ein vor Jahrmillionen wirksames Gesetz müßte sich dauernd bis heute geäußert haben. Nun darf aber der
leichtfertige Darwinist beim Menschen nicht mit Jahrmillionen um sich werfen, damit schlüge er die eigene Theorie tot,
der angeblich jüngste Erdengast müßte recht spät erscheinen, weshalb man sich heftig sträubt,
Menschenmöglichkeit im Tertiär anzuerkennen und sie aus dem Pliozän schon bis ins Pleistozän
verkürzt. Ein schneller Sprung vom Duboisaffen zum Neanderthaler würde den halbwahren Satz »die Natur macht
keine Sprünge« glatt aufheben, oder soll die Mutationslehre in Anwendung kommen? Menschenarten sind keine
Pflanzen, das in der Botanik als Einzelfall Beobachtete läßt sich nicht so erweitern, daß
Übergangsformen wie Kreidekladde auf einer Schiefertafel weggewischt
Weitere Kostenlose Bücher