Der Aufgang Des Abendlandes
außer Deußen, Max Müller,
Oldenburg usw. die Angloinder Professor und Mrs. Rhys Davids) merkt man die Scheu, offen sich zur Überzeugung zu
bekennen, daß indische Urweisheit und Karmalehre die klarste, obschon immer nur relative Wahrheit sind, die ins
Innerste der Welt eindringt. Im Buddhismus freilich, den sie allein gründlich studierten, muß man erhebliche
Einschränkungen machen.
Robertson Smiths Theorie, primitive Religion habe sich um ein heiliges Tier gruppiert, das nachher sakramental aufgegessen
wurde, erklären wir uns so: Der Urmensch suchte außerhalb sich selbst ein Mittelglied, um Kontakt mit dem
Unsichtbaren herzustellen und Opfer zu bringen. Er suchte sich sichtbares Symbol für Unsichtbares, wäre aber nicht
wenig erstaunt gewesen, wenn moderne Enthusiasten von ihm verlangt hätten, er solle ohne Glauben an eine Gottheit die
Weltmaschinerie anbeten. Unparteiliche Liebe für alles Sein, bloß weil es ist, darf niemals gepredigt werden, weil
es einen höchsten Zustand des Allgefühls voraussetzt, der nur zeitweilig oder in intuitiven Augenblicken dem
Sterblichen vergönnt sein kann. Ebensogut dürfte man für jeden Durchschnitts- den Ausnahmestand des
Geniemenschen als allgemeine Richtschnur aufstellen. Auf der unmäßigen Forderung, man solle das Gottall lieben,
obschon es uns nicht wieder liebe, sondern gleichgültig über uns wegschreite, läßt sich kein
Gottesdienst erbauen, sondern nur auf Dankbarkeit für Gottes Gegenliebe und Gerechtigkeit. Diese Merodach-Auffassung der
Sumerer ist offenbar uralt. Ihre Mondgöttin Istar (Astarte), die Große Mutter, die als Erdgeist ewig Fruchtbare
mit ihren andern Namen Isis und Kybele, muß das Schwert durch ihren Busen dringen lassen, daß Tammuz, Osiris,
Adonis geopfert werden, damit man sie aus der Unterwelt erlöst wie Eurydice den Orpheus. Diese uralte Konzeption
verwandelte sich später in Madonnenkult, also bewegt sich das praktische Religionsbedürfnis stets in gleicher
Bahn.
Indessen verschlimmerte der unbändige Individualismus, der sich heute noch gar mit dem Drill des Kollektivismus
vertragen soll, seine »Evolution«. (Nochmals in Parenthese: »Entwicklung« gibt
»Evolution« nicht richtig wieder, ersteres heißt englisch »Development«, während Evolution
sinngemäß nur Entwicklung zum Bessern bedeutet.) Denn die Alten kannten nicht die heftige Sexualleidenschaft der
Modernen und verachteten als widerwärtig die heute glorifizierte Regellosigkeit der Impulse. Daß die
Kirchenväter in der Sexualität den Hauptteufel sahen, war keine Ausgeburt christlicher Askese, sondern entsprach so
ziemlich der antiken Weltanschauung. Diese sah jedoch das Weltübel vor allem in der Veränderlichkeit alles
Vergänglichen, ihre Philosophie fahndete nach seelisch Festem, Unveränderlichem, außerdem fürchtete sie
übeln Einfluß der Gestirne, so daß sie eine Sphäre über den Sternen als Ruhehafen hoffte, wie
schon die Chaldäischen Sternenanbeter. Die sogenannten Hermetisten (Hermes Trismegistus) und Gnostiker hatten es leicht,
sich der Person Christi zu bemächtigen, den sie im Gegensatz, zur Kirche als astrales transzendentales Ego meinten:
»Ein Körper von okkulter Form, sichtbar, eindrucksfähig, doch ohne wirkliche Materialisation«. Denn die
Idee des Erlösers, der sich opfert, ist gleichfalls uralt. Der indische Krischna muß sich immer wieder
inkarnieren. Dies göttliche Wesen wohnt jenseits der sieben Sphären der Chaldäer in der »achten
Region« und bricht sich durch die Naturgötterherrschaft Bahn, indem es deren sieben Elemente assimiliert, steigt
nieder, um das im Menschen gefesselte Göttliche zu befreien, und fährt wieder himmelan durch das von ihm gebrochene
Tor, das die überwältigte Materie nicht mehr verriegeln darf und das dem Erlösten nun offen steht. Faßt
man diese Gnosis allegorisch auf, so mag hier okkulte Wahrheit schlummern. Doch erscheint andern Gnostikern ein allgemeiner
Erlöser unnötig, da höhere Erkenntnis und Magie genügen, daß jede Seele sich selbst erlöse. In
der Vorstellung, daß sie sich vor der Materie versteckt und von ihr unbemerkt ihre Himmelfahrt besorgt, ist offenbar
das Unbewußte gemeint. Auch »Offenbarung« ist den Gnostikern nicht fremd als uralte Tradition: Orpheus und
der ägyptische Thorat wird Hermes bei den Gnostikern, die sich sogar persönlichen Unterrichtes durch
Doppelgänger Gottes rühmten. Jedenfalls konnten die hellenischen Mystikkulte sich
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