Der Aufgang Des Abendlandes
Christentums auf seine
einfachsten Anfänge glauben. Man kann auch unmöglich wie Tyrrel nach Paulus' Vorbild Jesus schlankweg mit dem
»Geist« identifizieren. Denn sowohl Buddha als Shakespeare und Leonardo sind Manifestationen des gleichen Logos.
Wenn man nur einen Interpreten der Gottheit zuläßt, verfällt man in Götzendienst.
Monnier (»La Mission historique de Jesus«) will alles, was in den Seelen der Gläubigen vorgeht, auf diese
eine Person übertragen. Solche Spinngewebe zerreißt die Frage: Ist Buddha identisch mit den 600 Millionen
Anhängern? War inspirierte Intuition »heidnischer« Denker auch schon vom Heiligen Geist empfangen, lange ehe
er sich in Jesus verkörperte? Die beredte Rettung eines christlichen Modernismus, so heftig sich Tyrrel gegen
Autoritätstheologie aufbäumt, bleibt zuletzt auch nur Theologie, fern theosophischer Geistesfreiheit. Man will die
Notwendigkeit notzüchtigen, indem man das kausal Zerbröckelte für etwas noch kausal Bestehendes hält.
Daß kein Klerus auf eine Reform eingehen kann, die ihn seiner irdischen Macht beraubt, versteht sich ohnehin von
selber. –
Während auf diesem Wege kein Gewinn mehr zu erwarten ist, läßt uns auch Bergsons »intuitive
Methode« im Stich. Unser Denken sei räumlich, unsere Erinnerung sehe Dinge nebeneinander, wie in der
Außenwelt, und schalten wir nicht das Räumliche aus, so können wir nicht unser Selbst erkennen. Nun setzt
aber unser Eindruck der Außenwelt schon ein ewiges Bewußtsein voraus, sonst würden nur zeitliche Serien
spurlos an uns vorüberfließen, statt daß wir sie sogleich assoziativ verbinden. Unser Innenleben ist
qualitativ, nicht quantitativ, Raum als solcher unveränderlich, Denken veränderlich. Also leistet zur Erkennung des
Selbst Ausmerzen des Raumbegriffs nichts, sein Eindringen in Ichvorstellungen bietet kein Hindernis. Wohl erkennen wir
Außenwelt oder uns vorgelegte Gedanken als räumlich von uns getrennt. Doch Bergsons geistreiche Haarspaltereien
überzeugen nicht von der Unmöglichkeit, gleichsam ein Sinnbild (vergl. Helmholtz) unseres Selbst zu erschauen,
gerade weil wir es objektivieren möchten. Sein Werk »Zeit und freier Wille« leugnete Determinismus und
Willensfreiheit, da beides aus räumlicher oder zeitlicher Täuschung gefolgert werde. Das beweist aber nur,
daß unser Ichbewußtsein nicht ausreicht, beide Begriffe auseinanderzuhalten. Gewiß, Kausalität ist
zeitlich und räumlich gedacht, doch da wir eben nur so denken können, scheint determinierte Notwendigkeit des
Geschehens für uns notwendig, Freiheit nur möglich, sobald wir das Unbewußte darunter verstehen, dann aber
nicht nur möglich, sondern tatsächlich. Wenn Bergson Selbstaufgeben des Selbst als einzigen Weg zur Erkenntnis
predigt und seine Gegner dies als vernichtenden Pessimismus mißverstehen, so besteht hier die stete Verwechslung des
Ich mit dem höheren Selbst, das nichts sehnlicher wünscht, als sein Ich loszuwerden und im Allgefühl zu
verschwinden. Solange man esotherisch-buddhistische Erklärungen ängstlich vermeidet, wird jeder philosophische
Disput nur Spiegelfechterei um unverständliche Widersprüche. In seiner »Evolution créattice«
behauptet Bergson: »Gedächtnis ist keine Fähigkeit, Erinnerungen zu registrieren. Kein Register ist da und
keine Fähigkeit. Aufhäufen des Vergangenen auf Vergangenes geht ohne Unterbrechung fort, folgt uns jeden
Augenblick. Was wir fühlen, denken, handeln von Kindheit an, ist jetzt hier, beugt sich über den gegenwärtigen
Augenblick, der sich in sie verschmilzt, drückt auf das Bewußtseinstor, das es ausschließen
möchte.« »Weder mechanische Kausalität noch eine Endursache ist passende Übersetzung des
Gebens.« Mit andern Worten ein ewig transformiertes Werden, wo das verflossene Selbst als Erinnerung ins
Gegenwärtige sich verwebt und das künftige Selbst eine natürliche Schöpfung des Gegenwärtigen wird.
Von hier bis zur Annahme der Karmalehre ist nur ein Schritt, alles klingt wie Plagiat aus buddhistischem Lehrsystem, ohne
daß sich Bergson dessen bewußt. Seinen Wunsch, sich durch Sympathie ins Innere des Werdens zu versetzen im
eigenen Innern, hat ihm Buddha längt erfüllt und vorgemacht. Zweifellos entspringt die ablehnende Haltung der
»Wissenschaft« gegen den Buddhismus, der ihr unter allen Religionsgebilden am sympathischsten sein sollte,
zumeist aus blanker Unkenntnis. Doch auch bei bewährten Indologen (vergl.
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