Der Aufgang Des Abendlandes
ist ebenso richtig wie die strenge Lehre, daß Ichbewußtsein nur auf Kausalanreiz reagiere,
tastet aber umsonst die Einheit des organischen Lebens an, besonders wenn man das Unbewußte als sein Substrat
anerkennt. Auch das vielfach wiederholte Gleichnis für Wiedergeburt, die Strömung fließe ununterbrochen, nur
zeitweilig vom Aufsteigen des Todesbewußtsein gehemmt, widerspricht sich als »scheinbare Identität des
Flusses, obwohl nicht ein Tropfen heute der gleiche ist wie gestern«. (Heraklit: »Du kannst nicht zweimal in den
gleichen Fluß steigen«). Die Karmalehre läßt vielmehr sehr viel seelische Tropfen bestehen, und da
Wiedergeburt nur bei voller Kausalität möglich scheint, die Elektronen des unsterblichen Unterbewußtseins
wohl sicher ihre immaterielle Identität bewahren, so müßte der Buddhismus entweder die Reinkarnation fallen
lassen oder sich der Tatsache anbequemen, daß außerhalb des Ichs doch noch Seelisches fortdauert, das allein
wiedergeboren werden kann. Dabei legte der Buddhismus gerade besonderen Wert auf Kausalität, von damaligen Skeptikern
rundweg bestritten. Wir formulieren: Jedes Geschehen ist Folge früheren Geschehens, ohne welches es nicht geschehen
könnte, nun aber gerade so geschehen muß. Diese Formel gibt buddhistisches Denken wieder, das in Anerkennung einer
absoluten Naturnotwendigkeit gleichwohl die Ethik als gleiche Notwendigkeit fand und zwar mit viel schärferer
Begründung als etwa die Huxleys: das Verfahren des Kosmos billige Moralität. Wenn zwei dasselbe tun, ist's nicht
dasselbe. Wenn Buddha angeblich »Evolution« der Kausalität zugrunde legt, so meint er eben damit nur das,
was im Grunde Tautologie ist, zwei Namen für das gleiche. Kausalität der Phänomene leugnet niemand, aber wie
völlig buddhistische sich von moderner Naturwissenschaft trennt, zeigt ausdrückliches Hervorheben des Verfalls,
Sterbens und Leidens der Welten und Organismen. Evolution als Fortschritt zu predigen, würde Buddha als frivol kindische
Phantasterei gerügt und den Häckel mit der häufigen Wendung seiner Parabeln angeredet haben:
»närrischer Mensch!« Da es Fortschritt nicht geben kann, lehrt schon die Bhagavad-Gita, daß in jeder
Zeit der Bhagva, d.h. der Genius wiedergeboren wird, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, da sonst unfehlbar das
Schlechte siegt. Statt einer Theodicee lehrt Buddha eine Kosmodicee, in welcher Gerechtigkeit, Vergeltung, Ausgleich gerade
so natürlich walten, wie das Wasser fließen und die Pflanze wachsen muß. So scharf er von der älteren
Seelenlehre abweicht und sich dem rein Naturwissenschaftlichen bedenklich nähert, ja geradezu, was keine Religion je
wagte, die Naturgesetze als einzige Grundlage der Erkenntnis handhabt, so fest hält er trotzdem am Karma, d.h. an
Kausalgerechtigkeit alles Geschehens und an Unsterblichkeit in Wiedergeburt oder Nirwana. Wenn ein Moderner den wirklichen
Buddhismus (nicht ein überliefertes Scheinbild) kennen lernt, so muß er stutzen, daß jener Naturmechanik auf
den Thron setzen und dennoch alles als Tatsache lehren darf, was der Europäer »abstrus« und Mystik nennt.
Die Unwirklichkeit des Ichs oder einer selbständigen Seele, eines für sich bestehenden Geistes oder
Bewußtseins, die Kausalität auf rein materieller Basis als einzige Ursache und Wirkung durchschauen, heißt
kühnsten Modernismus vorwegnehmen. Doch gerade deshalb folgert daraus nicht ein Nichts, sondern Unzerstörbarkeit
des Lebens, nicht blindes Ungefähr willenloser Mechanik, sondern kausale Gerechtigkeit, beides als einfaches logisches
Naturgesetz, ohne das man sich ein Kausalsystem nicht vorstellen kann. Nichts erheitert mehr als der Widerwille des
Europäers vor dieser Naturlogik als mystisch, während er doch zwei Jahrtausende über den von den Semiten
übernommenen Jahve- und Allahkult nicht wegkam und die Christenkirche von künftigem Jenseits als Folge einer
einmaligen Gegenwart träumte statt der unermeßlichen Präexistenz einer notwendig dazu gehörigen
Vergangenheit zu gedenken. Diese lächerlich willkürliche Aufhebung der Kausalität nahm man ruhig hin und bis
in jüngste Zeit auch mit dem freien »Willen« fürlieb. Angesichts solcher eigenen Kausalwidrigkeiten
wagt man es, der Karmalehre dichtende Mystik vorzuwerfen! Woher nimmt man nur die Kühnheit, die bisher einzig logische
Welterklärung zu bemängeln? Ob man auf Plato oder Aristoteles, Giordano oder Kant, Swedenborg oder Häckel
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