Der Aufgang Des Abendlandes
Heiligen der besonderen Vielgötterei beschuldigen. Wichtigtuerei von Mono-
gegen Polytheismus ist Unwissenheit, nur altindische und sonstige Urweisheit war wirklich monotheistisch, Allah und Jahve
sind nur Stammesgötter, und solange der Christ den Begriff »Heide« aufrecht hält, fällt dies unter
gleiche Rubrik. Welche traurige Ironie, daß die Christen sich auf den Judengott beriefen, der ursprünglich nur
»Mensch« war, auf polytheistische Elohimgläubige, und daß sie für den Islam, dessen arabischer
Jehova doch wenigstens Alleinherrscher ist, zweifellos »Heiden« sind. Paulus verstand unter Heiden einfach
gottlose Materialisten, damalige Antike glich der Moderne, auf deren Untergang im Weltkrieg laut Bibelmystikern schon die
Apokalypse anspielen soll. Ursprünglich dachte aber die Antike nicht so, auch sie eigentlich nicht polytheistisch. Man
anerkannte einen höchsten Gott, von dem Celsus sagt, es sei gleichgültig, ob man ihn Zeus, Adonai, Amiri
(Ägypter), Papeios (Skyten) nenne. Plutarch und Apulejus stimmen überein, daß es eine Menge Unterherrscher
geben könne, deren jedem von Gott seine Provinz zugeteilt sei.« Was immer geschieht, sei es von Göttern,
Engeln, Dämonen, Helden, hat sein Gesetz vom höchsten Gott«, an den Indogermanen wie Papuaneger
gleichmäßig glauben, und den schon die Neanderthalrasse längst anerkannte. Man sah Geist und Vorsehung in der
Natur, zu deren Erklärung Pantheismus nicht ausreichte. Man nahm gute Dämonen an, die im Äther zwischen Gott
und Mensch den Verkehr aufrechterhalten, Untergötter, die ihr Prinzip in jeder Sphäre vom
»Höchsten« empfangen, ihm verantwortlich. Edle Seelen, befreit von der Wiedergeburt, können
Dämonen werden. Es ist bezeichnend, daß die Christenkirche das Wort Dämon nur im bösen Sinne auslegt,
während ihre »Heiligen« diesen griechischen Begriff decken. Sokrates verstand darunter sein transzendentales
Ego. »Enthusiasmus« (Plutarch), d. h. Inspiration führt zur Intuition delphischer Orakel, wobei heiße
Erddämpfe die Poren öffnen, auch Tischrücken ruft die Geister (Tertullian). Äskulap und Trophonius, weise
Dämonen, spenden an ihren Altären Orakel und Heilungen wie die Lourdesquelle. Daß dabei Hypnose und Radium
mitspielen, hebt das Wunder nicht auf. Daß man wie heute auch damals (Lucians »Alexander«)
leichtgläubige beschwindeln konnte, ist nur die Wiederkehr des Gleichen, weil Lüge sich jeder Wahrheit
bemächtigen kann. »Seit seiner Geburt steht bei jedem ein Dämon, sein gütiger Mystagoge durchs
Leben« (Menander). Aristoteles lehrte gleiches, laut Seneca hat jeder Mensch seinen Genius (Schutzengel). Die Perser
nannten den spirituellen Doppelgänger Frevashi, die Ägypter Ko, die Syrer kannten den Astralkörper:
»Zwei an Zahl wir stehen, doch einer in der Erscheinung.« Epiktet sagt, daß dieser unsichtbare Wächter
uns stets beobachtet, der laut Apulejus nach dem Tode Rapport abstattet. Empedokles meinte, jeder habe zwei Dämonen,
einen guten und bösen. Einige machten den Menschen zu einem trojanischen Pferd, das eine Menge Geister in sich birgt.
Die Ägypter behaupteten, ein Gott, d. h. ein höherer Dämon könne eine Frau von oben befruchten
(Erklärung der Geburt des Genies). Drum habe ich mich der Magie ergeben! sagten die alten Weisen wie Faust. Sind Namen
wie Vielgötterei und Heidentum hier angebracht? Der Theosoph wäre eher geneigt, dies als Übergang zu wahrer
Erkenntnis zu begrüßen.
Wenn die Christenkirche sich zur Vernunft bekehrte, um ihre starren Dogmen beweglich zu entwickeln, so könnte sie
eine Wiedergeburt erleben. Der Kampf des französischen Klerus gegen eine Normalschule, wo Glaube an Gott und
Unsterblichkeit als Aberglaube, Religion und Vernunft als unvereinbar gelehrt werden, hat unsere Sympathie. Doch Tyrrels
Modernismus und Kardinal Newmans berühmter Essay »Über Entwicklung des Christenglaubens«, wonach die
katholische Tradition »Christ selber ist, reinkarniert von Geschlecht zu Geschlecht in der historischen Kirche, die
sein Körper ist, dauernd in unablässiger Vermittlung und Offenbarung« läßt sich weder mit
historischem Katholizismus und Protestantismus noch mit wissenschaftlicher Kritik der Grundlagen vereinbaren. Daß eine
organisierte Gemeinde sein muß, darüber lese man Schleiermacher. Doch diese kann heute weder wie protestantische
Orthodoxie an Autorität einer Heiligen Schrift noch mit Harnack an Zurückführung des
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