Der Aufgang Des Abendlandes
gewaltige Erhöhung seines Wesens, wo Sinne und Geist
gleichmäßig schwinden, versetzt ihn in zeit- und raumlose Unendlichkeit, wo für keinerlei Ichseele ein Platz
ist. Deshalb beschäftigt sich der Buddhismus wenig mit »Maya«, der Unwirklichkeit der Sinnesphänomene,
wie die Vedanta dies tun muß, sondern mit »Mana«, der Illusion des Selbst, die als »Einbildung«
verhöhnt wird, und sein letztes Wort der Ethik bleibt immer vollkommener Altruismus. Da bei ihm alles
naturgemäß entwickelt (Dhamma heißt bezeichnenderweise auch Norm), so muß Altruismus wohl wirklich ein
Naturgesetz der Ethik sein, das der »Erwachte« als ebenso natürlich empfindet, wie es dem Europäer
künstlich und unnatürlich erscheint. Die Formel der »Erhabenen Stimmung« oder
»Unbegrenztheit« läuft auf Alliebe hinaus, doch jede Schwärmerei dabei soll gebändigt werden durch
»Denken und Wollen«, was dem Inder das gleiche bedeutet und dem er nicht wie moderne Psychologie bloß
rezeptive, sondern schöpferische Kraft zutraut, bezeugt durch abnorme psychische Fähigkeiten (Iddha) unter
Disziplin der Yogienergie. Der Wille (Chanda) kann nur durch den höheren Willen gebrochen werden, dessen sonstige
Unfreiheit durch den dauernden Trance disziplinierter Begeisterung »emanzipiert« wird, niedere Begierde nur durch
Umwandlung in stärkere Leidenschaft (»Eifer«) für das Heil. Das Stärkste dieser Leidenschaft ist
»Emanzipation« des Herzens, buddhistische Apostel predigen ganz im Sinne Pauli »Liebe«. Ob sie durch
Karma angeboren oder durch Dhamma erworben sei, erfahren wir nicht.
Bei Gutartigen ist freilich freundliche Gesinnung für Nebenmenschen normal, auch Mitleid für Leidende
natürlich, wenigstens bei Frauen. Nun gibt es aber eine größere Mehrzahl von Ungutartigen, bei denen
Wohlwollen wahrlich kein Naturtrieb. Menschenliebe bleibt überhaupt ein laues schwaches Gefühl, das im Konflikt mit
Selbstliebe keinerlei Opfer bringen möchte und sich nur schwer dazu entschließt. Je wohlmeinender ein Mensch, deso
häufiger erfährt er, daß man Mitleid verschwendet und wenige der Hilfe würdig sind. Hilfsbereite werden
fast immer ausgenutzt, man klammert sich an sie, bis sie die Geduld verlieren. Wer Dank verlangt, ist ein Lump; wer Dank
verweigert, ein noch größerer Lump; vergeßlicher Mangel an Treue fast allgemein. Geniale oder besonders
Liebenswürdige (Frauen, liebenswürdige Männer sind schlechtweg Raritäten) müßten darauf
rechnen, ihr Umgang sei so wertvoll, daß man gern für sie Opfer bringe, doch weit gefehlt! Kein persönlicher
Reiz bietet ein Äquivalent für zu leistende Dienste, sobald sie irgendwie lästig fallen. Daher ist das Leben
großer Männer besonders lehrreich, weil man dort fast immer auf Gleichgültigkeit, Undank und sogar aggressive
Bosheit der Mitmenschen stößt. Hat ausnahmsweise ein R. Wagner opferbereite Freunde, so war er eben selber ein
Ausnützer und Selbstling, dreht also den gewöhnlichen Spieß um. Sonst gilt nur Napoleons Hohn: »Wenn
man mir vorwarf, daß ich die Menschen verachte, so sieht man jetzt wohl ein, daß ich Grund dazu hatte.« Wer
ehrlich alle Triebfedern erkennt, wird unterschreiben, daß der Mensch keinen Altruismus verdient. Dagegen beweisen die
Regungen von Sympathie und Mitleid bei Gutartigen, so lau und schwach sie der natürlichen Selbstsucht widerstreben,
daß Altruismus trotzdem Norm sein sollte. Um ihn zum Leben zu wecken, bedarf es aber eines anderen, stärkeren
Gefühls, das die eingewurzelte Ichsucht bricht. Ob selbstwidrige Menschenliebe durch Liebe zu Gott oder zum Dhamma
entsteht, ist das nämliche, da »Norm« hier »Gott« bedeutet.
Selbst der größte Ewigkeitsmensch wie Buddha, der übrigens einen Nachfolger Meteya für heutige Tage
prophezeite, bleibt nicht unberührt vom Zeitmilieu, wir dürfen ihn daher nicht sklavisch als
»allwissend« anbeten. Aber daß er buchstäblich Handlungen ohne Substanz, Attribute ohne Subjekt
gelehrt habe, heißt ihn mißverstehen. Indem er das flüchtige Subjekt objektivierte und die Innenwelt nur als
Objekt sah, indem er Kausalität nicht als Reihenfolge von Momenten, sondern als einziges rhythmisches Pulsieren empfand,
war er ein metaphysischer Kopernikus, der die Festigkeit von Erde und Mensch aufhob, sie vom stabilen Objekt zum rollenden
Subjekt machte, die Energetik zu einer Spirale der Dynamik und so stürmisch in die Ewigkeit eindrang.
Das ist zwar schwerlich die ganze und
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