Der Aufgang Des Abendlandes
Konzeption
(Empfängnis). »Diese Neuerscheinung verdankt man allein Ursachen, enthalten in vorheriger Existenz,« lehrt
Buddhaghosa ausdrücklich. Wir brauchen seine weitere Erörterung nicht zu verfolgen, warum weder Identität noch
Wesensverschiedenheit der Wiedergeburten vorliegt. Da es für Buddha kein Dasein, sondern nur Werden gibt, bleiben nur
Handlungen des Individuums übrig, diese sind Quintessenz seines Werdens sowohl intellektuell als charakterologisch. Mit
derselben Energie aber, mit der er den Animismus erledigt, weist Buddha jeden materialistischen Nihilismus über rein
physische Abwicklung von Beginn und Ende des Lebens als widersinnig ab. Die Spanne Zeit eines flüchtigen Einzellebens
kann nur zwischen zwei Ewigkeiten liegen, in welchen ununterbrochene Serien solcher Zeitspannen sich als Zyklus
unaufhörlicher Bewegung darstellen und Aufhören der Bewegung in stabilem Todeszustand unmöglich ist. Die
Person endet, ihr Leben geht weiter, denn Leben ist Kraft, die sich erhält, Tod nur ein Akt transitiver Kausalität.
Europäische Vorstellung, die einseitig vorwärts und nie rückwärts schaut, als ob eben erst Entstandenes
Anspruch auf Zukunftsleben gewährleiste, hat etwas kindlich Jugendliches, während der Buddhist als erfahrener Mann
endlose Vergangenheit als Erklärung seiner Gegenwart überschaut. Nur so rettet er die moralische Weltordnung vor
Vorwürfen. Wenn ein guter Mensch ohne eigene Schuld leidet, so wäre dies ungerecht und Verheißung einer
Belohnung dafür im Jenseits sinnlos, weil solcher Umweg unnötige Grausamkeit in sich schließt. Wer aber sein
Verschulden im vergangenen Leben sucht, den wird dies Glauben – falls es nicht schon zum Wissen wird bei Heiligen,
Weisen und manchmal Kindern – trösten, Zuversicht verleihen, daß sein verdientes Leiden seine besondere
»Erbsünde« (wie das Christentum eine richtige Anschauung verfälscht) austilgte und ihm
glücklichere Wiedergeburt sichert.
Der unermeßliche ethische Einfluß des Buddhismus beruht auf dieser Basis. »Verdienst« sammeln
durch Altruismus heißt sich ruckweise dem »Rad« des Weltübels entziehen und das künftige Selbst
auf bessere Bedingungen stellen. Der »richtige Blick« mit dem »achtfachen Pfad« und sechs richtigen
Faktoren der Ethik wird erworben aus Bedürfnis der menschlichen Not, so wie ein Reisender, der keine Brücke
über einen Fluß findet, sich ein Floß zimmert. Solche Ethik scheint utilitarisch, man faßt sie auch
irrig als heroisch auf, weil sie auf jede Gottberufung verzichte und Gutes nur um des Guten willen preise wie Kant. Beides
ist irrig. Für Buddha bleibt Ethik einfach ein Naturgesetz, weil nur sie vom Leid, identisch mit dem Bösen,
befreit. Nicht dumpfe Resignation, wie Unwissenheit und dem Christentum nach dem Munde redendes Vorurteil fälschten (am
empörendsten beim glatten Max Müller-Oxford), sondern im Gegenteil trotzige Auflehnung gegen das Weltleid
kennzeichnet den Buddhismus, der siegreich Weltschmerz abschüttelt und dessen Ursache nur als Blindheit des
lusthungrigen Ichwillens verachtet. Weil er dessen Bändigung für möglich hält, also Leid und Übel
samt dem Ich verneint, ist er alles eher als »einfacher trauriger Pessimismus«. Diese Bezeichnung kommt dem
Kirchenchristentum zu, sogar dem Griechentum, das dem Leben als einer steten Unrast wirklichen Wert absprach, es sei denn
durch Ästhetik und Philosophie, rein spirituelle Güter, welche die Antike viel aufrichtiger und überzeugter
als die Moderne hoch über das Sinnliche setzte. Christ und Grieche nehmen Leid und Übel als unvermeidlich hin,
diese Entsagung liegt dem Buddhisten fern, er will Befreiung von »Dukkah«, vom Rad der Begierden und Illusionen.
Und daß Unzählige dies Heil-in-Buddha fanden, bezeugt der begeisterte Optimismus ihrer Hymnen, die den
Verzückungen der ersten Christengemeinden nicht nachstehen. Das dumme schlechte Quantitätsleben des Ich ist dahin,
nur das Qualitative der höchsten Erleuchtung blieb und gibt dem Leben unendlichen Wert. Dieser Höchstzustand des
Idealismus kennt keine religiösen Zweifel, wie sie schon die ersten Christen zeitweilig befielen. Er hat Sicherheit und
Ruhe im betäubenden Kreisen des »Rads«. Wer die Entstehung von zahlreichen Heiligen und Weisen (Arahant)
beiderlei Geschlechts, eine wahre »Gemeinde der Heiligen« voraussetzt und tatsächlich herbeiführt, ist
wahrlich der größte Optimist und Lebensbejaher. Buddha würde
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