Der Aufgang Des Abendlandes
die
Karmalehre vorbringt, ist eitel Leichtfertigkeit. Denn die Identität des täglich wechselnden Ich (man denke an
siebenjährige Zellenumbildung durch Stoffwechsel) ist nur formal, ohne daß man jenem übertreibenden Irrtum
(siehe früher) zu verfallen braucht, verschiedene Individualitäten entständen im gleichen Organismus. Doch die
Identität der eigentlichen Individualität, wo das organische Unterbewußtsein den Hauptbestandteil bildet,
scheint andrerseits auch für Buddha transzendental beglaubigt. Freilich klafft hier scheinbare Lücke seiner Logik,
denn seine Anerkennung ewiger Fortdauer der Individualitäten in den Wiedergeburten schließt doch in sich einen
Seelenbegriff in anderer Form. Dies hat er gar nicht bestritten, sondern nur die landläufige Vorstellung einer
selbständigen freien Seele, womit sich der Europäer noch immer herumplagt. Jede Existenzphase ist nur Resultante
vergangener und Ursprung kommender Phasen. Der Grundsatz des Reinkarnierens »nicht derselbe und doch kein
anderer« muß jedem Denkenden klar sein. Entspricht dies nicht auch dem Fortbestand gleicher Ich-Psyche trotz
siebenjährigem physischem Zellenwechsel? Wir heben hervor, daß die Karmalehre zwar arische und noch ältere
Urweisheit bedeutet, daß sie aber in der Vedanta viel unklarer und schwächer auftritt als im Buddhismus, gerade
weil erstere nur spekulativ, letzterer naturwissenschaftlich denkt. Also das schärfste unerschrockenste Denken –
denn im Grunde denkt Buddha kühner und schärfer als Giordano und Kant – und eine ganz naturwissenschaftliche
Anschauung führen logisch zum Karma, d. h. einer äußerlich mechanisch gedachten Kausalität, die aber
gleichzeitig ihre Transzendentalität in sich selber trägt. Es ist sinnlos, den Buddhismus für atheistisch zu
halten, weil er jedes persönlichen Götterglaubens zu entraten weiß. Denn eine Naturkausalität, die eine
absolut moralische Weltordnung höchster Gerechtigkeit verbürgt und ewige Fortdauer in Wiedergeburt oder
Allverschmelzung (Nirwana) gesetzmäßig vollzieht, ist eben dann die Gottheit selber, das transzendentale Welt-Ego.
Vergeltung in Wiedergeburt und diese selber blieben bisher »experimentell« unbeweisbar, obschon man nicht wissen
kann, welche Enthüllungen noch bevorstehen. Wenn Oliver Lodges jüngstes Buch behauptet, sein gefallener Sohn teile
ihm als Spirit mit, in zehn Jahren werde die halbe Welt spiritistisch denken, so ist Erfüllung dieser Prophezeiung nicht
unbedingt unmöglich. Dann müßten eben noch besondere Tatsachen sichtbar werden, um den Unglauben so zu
erschüttern.
»Seelenwanderung« ist dem Ägyptischen und nicht dem Indischen entnommen und wahrscheinlich auch von den
Ägyptern esoterisch nicht so gedacht, wie man es dem Begriffsvermögen der Menge beibrachte. Wenn schon Altindien
dem Buddha vorwarf, er leugne Seele und lehre doch Wiedergeburt, so macht stete Wiederholung dieser Kritik sie nicht
vernünftiger. Für Buddha ist Wiedergeburt nichts als Naturkausalität, wie auch deren Überwindung
(Nirwana) nur Kausalgesetzen folgt, da die dazu nötige Erkenntnis nicht aus den Wolken fällt, sondern logische
Transformation vorstellt. Die Seele wandert nicht, denn sie ist nach seiner Auffassung nicht vorhanden, das ewig Wechselnde
aber, das sich nun mal trotzdem als Individualität ankündigt, wechselt natürlich immer weiter die
Außenform in natürlicher Fortsetzung. Tod als Aufhören des Wechsels ist unmöglich, bedeutet nur Wechsel
der Bewußtseinsschwelle. Über letzteren Punkt sagt Buddha nichts Besonderes, weil er es für
selbstverständlich erachtet, doch sagt die ergreifende Parabel, wie er die Todesfurcht überwand, das Nötige.
Die glänzenden Gleichnisse im Milindabuch (Kathechismus von Fragen und Antworten) überzeugen, warum trotz
physischen und psychischen Wechselwerdens der Neugeborene B verantwortlich bleibe für die Handlungen des A, den er
fortsetzt. Die sauer gewordene Milch bleibt doch die gleiche, die der Milchmann vorher in süßem Zustand verkaufte,
üble Taten des A gehen in B über, der aus A's Elementen stammt. »In der Todesstunde ist der letzte
Bewußtseinsakt so, als ob ein Mann sich über einen Graben an einem Seil hinüberschwingen will. Doch er kommt
nicht selber dort an, sondern während der letzte Bewußtseinsakt erlischt (man nennt dies Dahinscheiden), landet
schon drüben der erste Bewußtseinsakt eines neuen Lebens und dies heißt Wiedergeburt oder
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