Der Aufgang Des Abendlandes
einen Haeckel oder Nietzsche mitleidig gewarnt
haben: närrischer Mensch, lerne erst die Anfangsgründe des Denkens und dann komm wieder, daß ich dich
belehre, wie du nach löblicher Abkehr von Priesterwahn wild und trunken in Irre und Wüste wandertest, statt das
klare »Licht der Welt« zu sehen. Den unwissenden Fälscher Schopenhauer, der Buddhas Namen als
Aushängeschild seiner unrein sexualpathologischen Pessimistik im Munde führt, würde er nicht so sanft
entlassen, sondern ihm ein schlimmes Karma prophezeit haben, weil er sich auf eigene Faust zu Buddhas Jünger ernannte.
Wem aber Aufhören aller Geburt im Nirwana nicht einleuchtet, der denke daran, daß das Genie – eine andere
Form der höchst erreichbaren Stufe – nachweislich ausstirbt und sich nicht vererbt, womit jede Rassenverbesserung
von der Natur sinnbildlich verneint wird.
Das »Verlöschen« (Nirwana) des Lebensfeuers paart sich mit »Ruhe und Erleuchtung«, den wahren
Attributen des »Nibbana«, das im älteren Pali-Indisch heiteres »Behagen« bedeutet.
Ausdrücklich wird Nirwana als Zustand der Freiheit bejubelt, also gibt es jenseits der allregierenden Notwendigkeit eine
transzendentale Freiheit. Aus buddhistischen Hymnen und Kommentaren folgert aber keineswegs, daß diese Freiheit vom
Lebensprozeß, eine schon im Diesseits erreichbare Seeligkeit, kein Fortsetzen des Jenseits besitze, wie man vorschnell
unterschob. Asoka sagt ausdrücklich in einem Edikt, daß seine Kinder – »alle Menschen betrachte ich
als meine Kinder« – im Diesseits Glück und im Jenseits das Heil gewinnen sollen. Obschon bisher bekannt
gewordene buddhistische Schriften keine Klarheit darüber schaffen, scheint durchaus sicher, daß Buddha nur gegen
das Phantom einer Ichseele Front machte, dagegen ein letztes seelisches Prinzip in der Weise anerkannte, daß der schon
hienieden in Nirwana Eingegangene nicht etwa für immer vergeht, sondern in rein spiritueller Form weiterdauert, die mit
»Leben« nichts mehr gemein hat. Da das »Heil« in Ruhe und Freiheit besteht, kann man aus ihm nicht
wieder in Unruhe und Unfreiheit irgendwelcher Lebensform herabsinken. Ein von Personenseelen bevölkerter Christenhimmel
wäre nichts als Leben, d. h. Bewegung und Wechsel. Buddha sagt ausdrücklich auf die Frage, wie ein Arrahant nach
dem Ableben sich befinde: Das auszudrücken übersteige Sprach- und Denkfähigkeit, er sei »weder
wiedergeboren noch nicht wiedergeboren«, d. h. in gottähnlichem Zustand übergegangen, den man intuitiv ahnen,
doch nicht konkret vorstellen darf. Selbst in den Siegeshymnen der Jünger (darunter wahre Perlen von Naturpoesie)
über Eroberung des Nirwana merkt man eine gewisse Zurückhaltung, vor Unerleuchteten das Unbeschreibliche zu
profanieren. Eine Schwesternonne will nichts weiter aussagen: »Genug, ich brauche keinen Götterhimmel, Herzleid
und Sehnsucht habe ich wegtrainiert.« Dies Training ist im Yogasystem genau entwickelt und setzt ohne weiteres ein
hyperphänomenales Selbst voraus, was Buddha insgeheim gebilligt haben muß, obschon er sich nur zurückhaltend
äußert. Vom Verklärten eines jenseitigen Nirwana »sind abgeschnitten alle Formen des Wissens, alle
Kanäle der Sprache«, dies zeit- und raumlose, geist- und körperlose Dasein ist »unerreichbar für
irdisches Denken«. Das Training aber erfordert heroische Anstrengung (»hohe Wissenschaft, Kasteiung,
Wagnis« sagt Byrons Manfred) in vielen Stadien. Zunächst diszipliniert sich der Bhukkhu (Schüler) zur
höheren Ethik, dann tritt er in die Erste Jhana verzückter Betrachtung voll emotioneller Inspiration, dann in die
Zweite beruhigter Konzentration, dann die Dritte, wo jede Emotion schwindet, und die Vierte, wo er Erlösung und Freiheit
in der »brennenden Flamme Nirwanas«, die alles Irdische verzehrt, und hiermit den höchsten vierten Grad
erreicht. Bei dem allem war Selbsthypnose erforderlich, eine Macht der Sinnesunterdrückung, die bei Europäern,
denen erst am Ende des 19. Jahrhunderts Hypnotik bekannt wurde, noch in den Kinderschuhen steckt. Diesen Trance des
Unbewußten, der ungeheure verborgene Kräfte heraufbeschwört nach Sprengung von fünf
»Fesseln«, übten schon die älteren Vedantayogi, wie denn Praktizieren aller Formen von Telepathie durch
höchstgesteigerte Willensenergie in Indien bis in die Urzeit reicht. Der buddhistische Yogi aber entdeckt auch hierbei
kein kontrollierendes und konzentrierendes Seelenich, sondern die
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