Der Aufgang Des Abendlandes
müßte man in ihm den ärgsten Vertreter des Ichs verabscheuen, was nur ein alberner Bettelmönch und
gewiß nicht Buddha oder Christus lehren würden. Warum melden sich bisher nur untergeordnete Spiritpersonen, nicht
abgeschiedene Geniale, von denen wir Wichtiges vernehmen könnten?
Wir kommen nicht weg über das subliminale eigenste Selbst im Gegensatz zum Ich, dieser Leihgebühr der Materie,
und nun führt gar der Spiritismus das ordinäre Wald- und Wiesen-Ich in den Kreis des Jenseits ein. Denn bisher bot
dieser Seelenkult nur Beweismittel für Fortdauer des gewöhnlichen Durchschnittsich, was wir freilich für noch
naturgemäßer halten als dessen unvermittelte Erhöhung ins Subliminale, das nur im Nirwana ganz frei werden
könnte. Die Erlösung der Ichillusion von sich selbst ginge also nicht so glatt vonstatten wie auf dem Heilspfad,
den Buddha empfiehlt. Doch Spiritismus als neue Religionsgrundlage – ist er neu, kannten ihn nicht nachweislich schon
die Antiken und laut Doyles Nachweis auch die Urchristen? – bedarf sorgfältiger philosophischer Sichtung, um vor
verhängnisvoller Überschätzung und Enttäuschung zu bewahren. Paulus warnt vor bösen listigen
Geistern, die im Gewande guter Geister uns hintergehen, wobei er augenscheinlich damalige spiritistische Seancen im Auge hat,
dies seltsame Phänomen der Hintergehung wird von heutigen Spiritisten erfahrungsgemäß anerkannt. Ist so etwas
möglich, was schützt dann vor Irrungen? Wer weiß umgekehrt, ob angebliche Irrgeister immer Unwahrheit sagen,
selbst wenn sie uns manchmal in April schicken? Die englischen Spirits, überzeugte Christen, bekennen, daß sie
bisher Christus nie zu Gesicht bekamen, und wenn andere Spirits sich spöttisch über Christentum äußern,
so mag ein englischer Pastor dies natürlich als untrügliches Zeichen betrügerischer Geister ansehen, ein
Buddhist ist vielleicht anderer Meinung darüber! So einfach können die Dinge nicht liegen, daß alles von
Menschen Vorausgesetzte sich in der Geisterwelt als objektiv richtig bewährt. Gewiß wäre Doyle befugt, als
vereidigter Detektiv den Indizienbeweis für Spirits zu führen, doch das Bedenkliche entging seinem Spürsinn,
daß er dort nur Geist von seinem Geiste findet. Alle im Weltkrieg Gefallenen vertraten bisher den gleichen kindischen
Standpunkt wie der Jingoimperialist Doyle selber. Nicht als ob man gewagt hätte, uns fröhliches Bekenntnis der
Geister vorzusetzen, daß sie für Freiheit und Recht fielen. Doch schweigen sie auffällig über diesen
Gegenstand, der ihnen so nahe liegen sollte, kein Beschwörer stellt ihnen die Frage, ob England für Ideale focht.
Die Pflicht guter Geister wäre, Lebenden die Augen zu öffnen. Schweigen sie vorsätzlich, so steht's mit
Befreiung von Erdlüge nicht gut. Sprachen sie und ihre Anhänger schweigen es tot, dann steht's schlimm mit dem
ethischen Einfluß, den man verspürt haben will. Raymond Lodge müßte dem Vater sagen: »Wir hier
drüben sehen den Weltkrieg anders an als ihr drunten. Wir Engländer verkehren hier mit deutschen Brüdern und
seufzen zusammen über die Lügen, mit denen man uns köderte. Warne unsere Regierungsstreber, daß sie Gott
nicht belügen können.« Dann würden zwar sämtliche Jingos den Geist oder dessen Vermittler des
Hochverrats zeihen, wir aber die moralische Ordnung der Geisterwelt bewiesen finden. Doch nach bisherigen Proben vermuten
wir, daß auch deutsche Gefallene »Gott strafe England« anstimmen würden. Solange solche Verewigte
gleiche Ichverstocktheit besitzen wie irdische Angehörige, scheint ihr ethischer Stand wenig geeignet, religiöse
Gefühle zu wecken. Raymond meint, überirdische Industrie könne Tabak und Alkohol aus Äthersubstanzen
herstellen, was Presseidioten zum Gelächter reizte, doch steht dies ganz im Einklang mit so menschenähnlichem
Milieu des Geisterreichs. Ohne subjektive Wahrhaftigkeit zu bestreiten, stellen wir anheim, ob man geistig so wenig
vorgeschrittenen Geistern transzendentale Wahrheit zutrauen könne. Vor Pazifisten bekennen sie sich als Pazifisten,
biedern Haudegen rufen gewiß die Gefallenen zu: Feste druff für König und Vaterland! Besteht da nicht die
Möglichkeit, daß zwischen äußerlich gereinigtem Jenseits und einem Diesseits, dessen verbesserte Kopie
solch Astralreich nur vorstellt, gedankenübertragende Wechselbeziehung herrscht? »Beten« und
»Liebe« sind theologischer Phrasenbrei, zu dessen Auftischung wir
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