Der Aufgang Des Abendlandes
Kriegsmeldung so schön sagte: »Die beste taktische Lösung schien der Rückzug«,
so scheint hier Rückzug aus dem Diesseits die beste Lösung. Solange die Menschheit sich solchen Auffassungen nicht
anbequemt, was das Christentum nur unlogisch versucht und der Buddhismus nicht restlos erfüllt, muß Verzweiflung
der Sterbenden und Hinterbliebenen das Diesseits zur Hölle machen. So sehr wir Schopenhauers entnervende
Daseinsvergiftung mißbilligen, so empören wir uns doch mit Recht gegen die frevelhafte Schönrederei eines
Emerson und Genossen, die ihren persönlichen behaglichen Lebenslauf für das Normale halten und den
durchschnittlichen liebenswert mit einer Verkennung der Wirklichkeit aufbauschen, die jeder Erfahrung Hohn spricht. Von
außen wie von innen gesehen wird die moralische Weltordnung zwar immer im großen, doch nicht immer im kleinen so
erkennbar, wie Buddhas Dhamma es verlangt, und redliche Denker dürfen nicht Verbitterten glitzernde Steine als Brot
reichen. Den Heüspfad können nur wenige betreten, selbst christlichen Heiligen wie Franz von Assisi fiel ihr
Einsiedeln notwendig schwerer als im weit günstigeren indischen Milieu. Die These, Leid bereite am besten für
immaterielles Jenseits vor, versagt zwar oft nicht, doch umgekehrt verteufelt oft die Not erst recht die irdische
Schwäche. Auch darf die vorausgesetzte absolute Gerechtigkeit vom Durchschnittsmenschen nicht mehr verlangen als seine
Sansaraverstrickung leisten kann. Vom modernen Europäer darf man noch weniger Innerlichkeit erwarten als von irgendeinem
früheren Menschen,– subjektiv entschuldigt ihn also die Schlechtigkeit seines Milieu. Tolstoi hatte gut reden,
sein gleichmäßig Kunst und Sinnlichkeit hassendes Urchristentum wuchs nur unter barbarischen Muschiks als
möglich. Sind Schwächen nicht manchmal Bedingungen von Kräften, wie Sinnlichkeit beim Künstler, der ohne
sie nicht sinnlich gestalten könnte? Wer wie Tolstoi vom Kunstwerk Moral heischt, arbeitet dem Philister in die
Hände, es ist unwahr, daß Kunst ein ethisches Ideal voraussetze. Bei höchsten Erscheinungen trifft dies zu,
doch wäre lächerlich, immer nur das Höchste als Maßstab zu nehmen. Solche Enge führt zur
Verwechslung des Schöpferischen mit dem Moralischen, so daß Dante und Milton ihrer Moraltendenz halber zu den
Großschöpfern gerechnet werden. Selbst als Allegoriker steht Milton unter den Heiden Shelley und Keats wie dem
schlichten Bibelchristen Bunyan, der wenig moralische Bums als Dichterkraft über allen diesen, und wenn der moralinsaure
Carlyle ihn über Byron stellt, weil er dessen Ethik nicht versteht, so läßt er sich auslachen. Byrons Kain
ist in wunderbarer Jugendfrische so religiös wie eine Hymne der Urzeit, Miltons Paradies nur ein dürrer
Kanzelsermon. Tizian und Mozart, bei denen heitere Sinnlichkeit überwiegt, sind geradeso genial wie Buonarotti und
Beethoven, und d'Annuzzios virtuose Unsittlichkeit ändert nicht sein Dichtertum. Nun wohl, wie setzt sich Buddha mit dem
Ästhetischen auseinander, das noch jeder Philosoph von Plato bis Schopenhauer (obwohl Plato den Künstler aus seinem
Musterstaat verbannen wollte) als Kalon-Agathon für eine Wurzel der Idealität hielt, weil wunschloses Anschauen,
das wir beim Urmenschen als Urtrieb erkennen, geradezu als Vorstufe des Nirwana zu betrachten wäre? Wenn christliche
Askese (Savonarola) die Kunst als lüsternes Teufelswerk verdammte, so hat ihre unfruchtbare »Wollust des
Leids« sich damit selbst gerichtet. Doch es macht nachdenklich, daß trotzdem Buddhismus und Christentum die Kunst
zu eigenartiger Entfaltung brachten. Der Schaffende steht dem Naturgesetz ewigen Schaffens weit näher als der Moralist,
noch in wüster Verirrung stehen ihm Inspiration und Intuition eher zu Gebot als andern. Wie will man ihm mit
gewöhnlicher Ethik beikommen, da laut Lamartines Napoleons-Wertung »Genie vor Gott vielleicht die höchste
Tugend ist?« Wir bezweifeln nicht, daß Buddhas Weg zum Heil der sozusagen geometrisch gradeste sei, wohl aber,
daß sein Weltbild sich mit der höchsten Realität decke. Man wird den Genialen zwar nicht für einen
über menschliche Ethik erhabenen Sendung aus »Dewachan« halten, sein Wesen aber fügt sich der
Dhammaethik nicht ein, sonst müßte er auf sein Schaffen verzichten, was ihm unmöglich ist. Unter welche
Kategorie fällt sein Übel und sein Leid? und da er wie kein anderer seine Persönlichkeit ausbilden muß,
so
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