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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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und gehe. – Die These vom aufrechten Gang der Menschenaffen war damit abgewehrt. Dass sie fortan nicht mehr vertreten wurde, dürfte allerdings weniger der Autorität der anatomischen Wissenschaft zu verdanken sein, als dem zunehmenden Import solcher Tiere nach Europa. Ihr Verhalten konnte nun unmittelbar beobachtet werden und dabei zeigte sich: Sie gehen normalerweise nicht aufrecht.
    Im Zentrum der Dissertation Blumenbachs standen aber nicht die Affen, sondern der Mensch. Gleich im ersten Paragraphen gibt der Verfasser zu erkennen, wie tief der Linnésche Stachel saß, denn er zitiert ausführlich dessen Bekenntnis, kein Merkmal gefunden zu haben, das den Menschen vom Affen unterscheidet; und er reagiert auf diese Herausforderung mit einer Kriterienliste, die das Problem definitiv lösen soll. «So will ich denn einstweilen das aufzählen, wodurch sich der Mensch, wenn ich irgends richtig beobachtet habe, von den übrigen Thieren zu unterscheiden scheinet, wobey ich folgendermaßen verfahren will, daß ich
    1) das aufzähle, was zur äußeren Bildung des menschlichen Körpers;
    2) zur inneren Einrichtung,
    3) zu den Geschäften seiner animalischen Oekonomie, gehört;
    4) was Bezug hat auf die Geistesfähigkeiten; welchen ich
    5) weniges über die dem Menschen eigenthümlichen Krankheiten beyfügen werde. Und
    6) werde ich endlich jene Merkzeichen durchgehen, durch welche man insgemein, aber fälschlich, den Menschen von den Thieren unterscheiden zu können geglaubt hat.» (18f.) Das ist eine deutliche Erweiterung der Kriterienliste Linnés, der sich ja strikt auf anatomische und physiologische Merkmale beschränkt hatte. Dass Blumenbach mit seinem wesentlich umfangreicheren Katalog, der etwa auch die «Geistesfähigkeiten» einschließt, weiter in die gewünschte Richtung kommen konnte als Linné, lässt sich denken. – Uns interessiert vor allem die erste Merkmalsgruppe, die die «äußere Bildung» des menschlichen Körpers betrifft. An der Spitze dieser Gruppe steht die aufrechte Haltung, hinsichtlich derer Blumenbach sofort zwei verschiedene Fragen unterscheidet: nämlich erstens ob sie zur Natur des Menschen passe; und zweitens ob sie ihm eigentümlich sei. Die Antwort auf die zweite Frage haben wir schon kennengelernt: Sie war, da nach Blumenbach allein der Mensch aufrecht geht, positiv. Doch wie stand es um die erste Frage?
    Dass auch sie positiv zu beantworten ist, unterliegt für ihn keinem Zweifel. Dies bezeuge «a priori der Bau des menschlichen Körpers selbst, und a posteriori die einmüthige Übereinstimmung aller uns bekannten Völker jedes Zeitalters». (20) Im Hinblick auf den Bau des menschlichen Körpers führt er zunächst die Länge der Schenkel im Verhältnis zum Rumpf und den Armen an; diese Proportion mache es dem Menschen unmöglich, sich wie ein vierfüßiges Tier zu bewegen; selbst Kinder, die vergleichsweise kurze Schenkel haben, kriechen auf den Knien. Auch weitere Indizien wie die Stärke der Schenkel und der Bau des Brustkorbes deuten nach Blumenbach auf eine naturgemäße Bestimmung des Menschen zum aufrechten Gang hin. Wir können die weiteren Ausführungen über interessante Körperteile, die den Menschen vom Tier unterscheiden (zu nennen sind die Hinterbacken und die «merkwürdige Richtung der innern weiblichen Geburtsglieder, und besonders der Mutterscheide», durch welche «die aufrechtgehende Frau» vor bestimmten Unbequemlichkeiten geschützt ist), an dieser Stelle übergehen, da Blumenbach sie nicht direkt mit dem aufrechten Gang in Verbindung bringt. Zu erwähnen ist aber abschließend «der größte Vorzug» der äußeren Bildung des Menschen: «der freyeste Gebrauch zweyer sehr vollkommener Hände». (30) Auf dieser Eigentümlichkeit fußt dann auch Blumenbachs eigener Klassifikationsvorschlag, mit dem er sich (nicht nur) von Linné distanziert. Hatte dieser Menschen und Affen unter dasselbe Rubrum «Quadrupede» subsumiert, so muss der Mensch nach Blumenbach als ein «zweyhändiges Thier» von den «vierhändigen» Affen gesondert werden. – Damit ist ein Punkt berührt, der in unserer gesamten Darstellung bislang ausgespart wurde: Die Tatsache, dass der aufrechte Gang die vorderen Gliedmaßen von den Aufgaben der Fortbewegung befreit und ihre Spezialisierung für andere Aufgaben ermöglicht. Ohne diese Spezialisierung hätte die für den Menschen charakteristische Kultur schwerlich entstehen können. Mit der kulturellen Bedeutung des aufrechten Ganges wird sich der

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