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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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weit mehr physischen Nachtheil als Vortheil bewürket. Sollte dieser gewagte Satz jemandes bürgerliche Zärtlichkeit so sehr beleidigen, daß er mich, ehe er mich angehöret hat, verdammete; so antworte ich diesem dreist: daß er es für nicht gesagt halten, und immerhin aufrecht gehen möge; aber er klage dann auch nicht, daß er dem beschwerlichen Herzklopfen, den schwarzen verwüstenden hypochondrischen Angriffen und den Geschwülsten der Füße unterworfen sei; er leide in Frieden die häufigen Verstopfungen der Leber, der Milz, des Gekröses (Mesenterii) und alle die vielen schrecklichen Uebel, die uns, zum Vorzuge vor dem Viehe, so hierinn glücklicher als wir ist, nur gar zu oft zum bejammernswürdigen Gegenstande einer nicht allemahl nützlichen Kunst machen, und die uns unter langen und ermattenden Seufzern, auf tausendfache dem Viehe unbekannte Arten, die Annäherung eines unvermeidlichen und schmerzhaften Todes, beschleunigen.» (15f.) Der heutige Leser vermisst in dieser Aufzählung nur die endemischen Rückenprobleme des modernen Büromenschen, die aber an späteren Stellen dieses Buches [Kap. 21, 23, 27] noch zur Sprache kommen werden.

    Abb. 7: Menschliches Skelett in natürlicher Körperhaltung
    Moscati war nicht der erste, dem unwillkommene körperliche Folgen des senkrechten Körperbaus aufgefallen waren. Einmal mehr lassen sich einschlägige Einsichten bis auf Aristoteles zurückverfolgen, der das Niesen und Schnupfen, von dem Menschen stärker betroffen seien als andere Lebewesen, auf die senkrechte Haltung zurückgeführt hatte. (Probl. X,54) Später machte Richard Cumberland auf weitere, vielleicht noch unangenehmere Nebeneffekte dieser Haltung aufmerksam: Sie fördere zwar die Zirkulation des Blutes und der «Lebensgeister» und trage damit zu besonderen geistigen und moralisch-sozialen Fähigkeiten des Menschen bei; erleichtere aber auch das Absinken der schweren Bestandteile des Blutes in die unteren Körperregionen, wo diese dann zu Hämorrhoiden führen können. (1727, II,XXIV) In den Augen dieser Autoren waren das Niesen, der Schnupfen und die Hämorrhoiden aber nur einzelne Misshelligkeiten, die durch die ungleich kostbareren Vorzüge der aufrechten Haltung mehr als wettgemacht wurden. – Moscati legt demgegenüber ein ganzes Tableau vor, das von kleineren Unbequemlichkeiten bis hin zu schweren Krankheiten reicht, und legt damit den Schluss nahe, dass die wenigen Vorzüge, die der aufrechte Gang zugegebenermaßen habe, angesichts der Masse der mit ihm verbundenen Übel kaum ins Gewicht fallen. «Scheinet Ihnen nun, philosophische Zuhörer, die Sie den gerechten Werth des würklichen Uebels und Guten zu schätzen verstehen, scheinet Ihnen nun, die ungeheure Menge fürchterlicher Krankheiten dem magern eingebildeten Vergnügen auf zweyen Beinen zu gehen, und dem modigen Anstande, vielmehr senkrecht als horizontal auf unserm Erdboden zu stehn, verhältnismäßig zu sein? Ich merke es, daß diese rührende Erzählung Sie an einige unvergeßliche Beyspiele, wo jene Krankheiten das kostbare Leben verkürzet haben, wieder erinnert; ich sehe es Ihnen an, daß Sie über die nachtheilige Mode, zweyfüßig zu seyn, unwillig werden; und daß Sie die wahre Glückseligkeit der starken vierfüßigen Thiere in den Wäldern zu schätzen anfangen …» (38ff.) Dem Publikum wird eine umfassende Kosten-Nutzen-Rechnung des aufrechten Ganges präsentiert. Sie fällt desaströs aus.
    Wenn Moscati nicht nur mit einer originellen Festrede imponieren, sondern eine Botschaft vermitteln wollte, so richtete sich deren kritischer Teil gegen eine ehrwürdige Denktradition, die man pauschal als ‹anthropozentrisch› etikettieren kann; gegen alle Theorien, die dem Menschen unter Rückgriff auf eine teleologische Naturdeutung eine prinzipielle Überlegenheit gegenüber dem Tier und eine Zentralstellung im Kosmos zuschreiben und seine aufrechte Stellung als einen Ausweis dieser Überlegenheit in Anspruch nehmen. Ausdrücklich genannt werden die «poetische Beredsamkeit» von Dichtern wie Ovid; der «witzige akademische Philosoph» Cicero; und «der ganze Haufen der nicht genug philosophischen Finalisten», der uns mit Nachdruck vorpredige, «daß der Mensch sichtbarlich deswegen zweyfüßig gemacht sey, um alle andere Thiere zu übertreffen; daß er von allen lebendigen Geschöpfen, deren Oberhaupt und Patron er zu seyn scheint, das ädelste, und der Natur das liebste sey; daß selbst die Natur für sich allein,

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