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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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«Kräfte» harmonisch zusammenwirken. Dieses Zusammenwirken ist ein Angelpunkt des herderschen Denkens, in dem sich alle Gegensätze zwischen anorganischer und organischer Natur, Körper und Geist, Natur und Kultur, Gott und Welt, Diesseits und Jenseits auflösen.
    Im weiteren Verlauf der Darstellung stellt sich der Mensch dann, wie erwartet, als Zielpunkt des harmonischen Zusammenhangs der «Kräfte» und als sein Zentrum heraus: Als «Krone der Organisation unserer Erde», als «Microcosmus», als «Sohn aller Elemente und Wesen, ihr erlesenster Inbegriff und gleichsam die Blüte der Erdenschöpfung», als das «Schoßkind der Natur». (27) Das Stichwort «Microcosmus» führt uns zu den Ausdrucksbeziehungen und Analogien zurück, die schon das klassische kosmologische Denken geprägt hatten, und die wir auch in den Ideen allenthalben wiederfinden. Wenn die Welt das Resultat einer vernünftigen Planung ist, dann hat sie einen ihr inhärenten ‹Sinn›, einen sich in bildhaften Entsprechungen niederschlagenden semantischen Gehalt. Die Providenz zeigt sich in analogischen Beziehungen zwischen den Teilen des Kosmos, insbesondere in der Mikrokosmos-Makrokosmos-Entsprechung. In einem solchen Denkrahmen wird man erwarten, dass über Analogien eine tiefere Einsicht in den Weltplan zu gewinnen ist als über Kausalbeziehungen, die ja nur Mittel sind, um die providentiellen Ziele zu erreichen. Wie bereits bei den antiken Autoren hat das analogische Denken auch bei Herder [32] eine ontologische Grundlage: Es wurzelt in der semantischen Verfasstheit der vernünftig geplanten Welt.
    Herders Ideen können als Reaktion auf ein strukturelles Problem begriffen werden, das die Philosophie der Neuzeit, insbesondere ihre Anthropologie, um so mehr plagte je weiter sie voranschritt. Wir sind diesem Problem im Zusammenhang mit Diderots Kritik an Linné [Kap. 17] bereits begegnet. Angetreten, den empirischen Menschen zu rehabilitieren und sein Leben in der empirischen Welt zu legitimieren, drohte ihr dieser empirische Mensch mehr und mehr verloren zu gehen. Auf den Seziertischen der vergleichenden Anatomen verflüchtigten sich die Unterschiede zwischen Mensch und Tier bis zur Unkenntlichkeit. Die empirischen Befunde über die äußere Gestalt und innere Organisation des Menschen schienen auf die Schlüsselfrage ‹Was ist der Mensch?› nur noch eine Antwort zuzulassen: ein Tier unter anderen. Zwischen den ethisch-anthropologischen Zielen der Aufklärung und den von ihren Mitteln hervorgebrachten Ergebnissen entstand eine Spannung, auf die es unterschiedliche Reaktionen gab. (1) Die philosophischen Materialisten und wissenschaftlichen Naturalisten zogen einen einfachen Schluss: Wenn die empirischen Naturwissenschaften uns keine Sonderstellung des Menschen zeigen, dann gibt es sie auch nicht. (2) Andere wurden durch eben diesen Schluss in ihrem Generalverdacht bestätigt, dass die gesamte empirisch orientierte und methodisch kontrollierte, antimetaphysische und areligiöse Denkweise ein gefährlicher Irrweg sei. Vor allem die christliche Theologie hielt an ihrer spiritualistischen Anthropologie umso verbissener fest, je weiter die Naturalisierung voranschritt. (3) Diese beiden gegenläufigen Strömungen bildeten die Eckpositionen eines Spektrums, innerhalb dessen ein breiter Raum für weitere Denkansätze blieb. Einen davon bildeten die verschiedenen Formen des Dualismus, die wir von Descartes oder Kant in der Philosophie, von Linné, Buffon oder Moscati in den Biowissenschaften kennen. Werden hier die verschiedenen ‹Sei ten› des Menschen und die verschiedenen ‹Aspekte› seiner Existenz einander schroff gegenübergestellt, so möchten andere Autoren solche Dualismen gerade überwinden und eine ‹ganzheitliche› Theorie des Menschen entwickeln. Körper und Geist, Natur und Kultur, Mensch und Welt sollen als Momente eines organischen Ganzen begriffen und auf diese Weise miteinander versöhnt werden. Die Protagonisten dieser Theoriefamilie greifen oft auf die Bestände divergierender Denkströmungen zurück und suchen ihre Ergebnisse zu kombinieren. Philosophische Einsichten und empirische Befunde der Naturwissenschaften gehören selbstverständlich dazu, aber auch religiöse Überzeugungen und ‹esoterische› Elemente der hermetischen Tradition werden nicht verschmäht. Herders Ideen gehören in diese letzte Strömung ‹ganzheitlichen› und versöhnenden Denkens.
    Eine lineare Fortsetzung der klassischen Kosmologien waren sie

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