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Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Wischnu als Nara-simha, mit einem Löwengesicht und zahlreichen Armen. Diese drei erstaunlichen Kreaturen starrten sämtliche Mendips von meiner Kojenwand herab an, wo sie zwischen Jinx Falkenberg und Ida Lupino prangten.
    »Stubby zeichnet sie auch«, sagte Geordie. »Weißt du, er kopiert sie. Ich finde, das ist nicht gut für ihn – ein feiner junger Bursche wie er.«
    Geordie sah mich besorgt an, für den Fall, daß er zu sehr übertrieb.
    »Du bist also so eine Art Künstler?« meinte Aylmer. Er hatte einen sandfarbenen Schnurrbart, den er ab und zu gegen seine Oberlippe preßte.
    »Ich tue es nur, um mich zu zerstreuen.« Ich schämte mich.
    Aber persönliche Geständnisse schienen Aylmer nicht zu liegen; er zog allgemein gehaltene Gespräche vor. »Obgleich all diese Hindugötter so alt und unzivilisiert sind, ist es schon seltsam, daß Sigmund Freud, der Deutsche, der die Psychoanalyse erfunden hat, herausfand, daß wir alle diese Götter und Dämonen in unserem Geist beherbergen.«
    »Wie bitte, Hindugötter?« rief ich aus. »Ich habe von ihnen doch nie etwas gehört, ehe ich an diesen verdammten Ort kam.«
    »Ich meinte doch nicht im wörtlichen Sinn, du Idiot, sondern die Dinge, die sie darstellen, gut oder schlecht und alles andere. Sünde und Sex und so weiter. Angeblich sollen wir alle vom gleichen Stamm herrühren wie die Inder, daher haben wir im Grunde den gleichen Glauben.«
    Das war sogar für mich zu viel. »Hör auf, Aylmer! Du willst mir weismachen, daß wir das Gleiche denken wie die Reisfresser? Wie kommt es denn dann, daß wir zu Hause nicht alle barfuß herumlaufen und Betelnüsse kau en?«
    »Ich habe aber zu Hause schon mal Kinder gesehen, die barfuß herumlaufen«, stellte Geordie fest. »Du solltest mal zu uns nach Jarrow kommen.«
    »Ich will euch erklären, wie ich es meine«, sagte Aylmer geduldig.
    Er fing damit an, aber in diesem Moment kamen Wally Page, Enoch Ford und der junge Jack Tertis pfeifend vorbei. Wir machten uns bemerkbar, riefen ihnen Beleidigungen zu und gesellten uns dann zu ihnen. Sie wollten sich in der Kantine vollaufen lassen, erklärten sie.
    »Weshalb hängst du denn mit Aylmer herum?« erkundigte sich Wally. »Dieser verdammte Alleswisser!«
    Die Inder im Restaurant standen besorgt um uns herum, bis wir die Rechnung bezahlt hatten und in Richtung Kaserne aufbrachen. Die Nachtluft war genauso warm wie immer; Kolibris schwirrten im Geäst der hochgewachsenen Jakarandas, die die Straße zur Kaserne säumten. Einmal drehte ich mich um, um mich zu vergewissern, wo Aylmer abblieb. Er folgte unserer Gruppe zwei oder drei Schritte zurück. Einmal hörte ich ihn seine einzige Liedzeile summen: »Könnt’ ich doch sehen, wie du vor mir stehst …«
    Zwei Stunden später waren wir alle ganz hübsch angeschlagen – außer Aylmer, der zu Bett gegangen war. Wir lachten und wünschten einander lauthals eine gute Nacht.
    Das, so dachte ich selig, war echte Kameradschaft! Sogar der alte Geordie war besser, wenn er ein paar Bier intus hatte. Was vor allem anderen so reizvoll war, das war bei jedem der totale Mangel an Verstellung. In der höheren Schule in Branwells waren unsere Klasseninstinkte derart ausgeprägt, daß wir so gut wie gar nicht über unser Leben zu Hause sprachen; die Eltern waren derart tabu, daß man sie nur – wenn man schon gezwungen war, sie zu erwähnen – als »meine Leute« bezeichnete, als würden sie, mit Formaldehyd getränkt, in einem Glas aufbewahrt.
    Mit Wally, Enoch, Carter und den anderen Kumpels war es anders. Sie enthüllten rüde Einzelheiten ihres Lebens zu Hause, die mich erregten und schockierten. Vor allem Wally! Wally hatte tatsächlich Mädchen hinter dem Sofa in der elterlichen Wohnung gevögelt. Seine Eltern waren oft betrunken – seine Mutter hatte sogar einmal einen Fenstervorhang angezündet, und das Haus wäre beinahe abgebrannt. Seine Schwester gestattete dem alten Mann von nebenan, sie für ein paar Süßigkeiten draußen im Park zu betatschen. Und Page senior war, wie aus Wallys Schilderung deutlich wurde, die Verkörperung des lüsternen Unterschichtdaseins, ein Hilfsarbeiter in einer Fabrik, der sich mit Leuten in Kneipen und bei Fußballspielen prügelte, der einem Mitglied des Parlaments mit der Faust gedroht hatte, der ein Automobil von einer Klippe hatte abstürzen lassen und der, als Wally ihn einmal dabei erwischte, wie er mit der Nachbarstochter hinter einer Kneipe nach Ladenschluß bumste, jenen un sterblichen

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