Der aufrechte Soldat
weiterhin über die Straße. Es bezog hinter uns Stellung.
Es fing an zu regnen, und aus ersten vereinzelten Tropfen wurde ein Wolkenbruch. Aber immer noch trudelten Nachzügler bei uns ein. Sie waren von Imphal her über die Berge gekommen und bewegten sich ohne besondere Eile oder erkennbare Erschöpfung.
Einer von ihnen sagte unten auf der Straße etwas mit leiser, erregter Stimme. Wegen des Regengeprassels auf meinem Umhang, der auch das Funkgerät schützen soll te, konnte ich kaum etwas hören. Eine Minute später feuerte Lieutenant Boyer eine Verey-Pistole ab. Als die Szenerie in helles Licht getaucht wurde, gab er den Schießbefehl. Die Kameraden, die sich neben der Straße postiert hatten, eröffneten das Feuer. Dusty Miller griff mit seinem Maschinengewehr ein.
Aus dem gegenüberliegenden Dickicht erklangen laute Schreie, und stellenweise wurde unser Feuer erwidert. Die Japaner hielten sich tatsächlich dort versteckt. Sie mußten den Assamesen ziemlich dicht gefolgt sein, aber sie wagten es nicht, die Straße zu überqueren.
Wir stellten unser Feuer ein, und auch der Regen ließ nach. Der Kampflärm bei Kohima dauerte an. Diese armen Teufel! Wir warteten auf den Befehl, uns wieder zu sammeln. Der Morgen brach an. Unser erster Einsatz war beendet.
Erst wenn man in dieser Landschaft stand, mit beiden Füßen fest auf dem Boden, konnte man begreifen, warum beide Seiten nur langsam vorwärts kamen. Zu dem Durcheinander dieses Labyrinths aus kleinen und großen Bergen und Tälern hatte die Natur dichte, nahezu undurchdringliche Wälder hinzugefügt. Jeder Berg, jede Erhebung und jede Senke war mit Vegetation bedeckt, die sich als ein Dickicht aus Dornengewächsen, Bambus und hochragenden Bäumen erwies. Jede Unregelmäßigkeit, auf einer Landkarte überhaupt nicht als solche zu erkennen, erwies sich durchaus fähig, ein ganzes Bataillon aufzusaugen.
Unsere Aufmerksamkeit galt weiterhin dem von den Japanern belagerten Kohima. Die Japaner gaben nicht auf. Ihre und unsere Streitkräfte kämpften oft nur wenige Meter voneinander entfernt. Die RAF und die Amerikaner warfen aus der Luft Lebensmittel, Wasser und Munition für unsere belagerten Truppen ab, doch es ließ sich nicht vermeiden, daß die eine oder andere Ladung in japanische Hände fiel.
Es gab vieles, was wir nicht verstanden. Warum zog Sato nicht einfach an Kohima vorbei und rückte auf Dimapur vor, das Tor zu Indien, das so gut wie nicht zu verteidigen war? Und warum schafften wir es nicht, Ko hima aus der Umklammerung des Feindes zu befreien?
Die Japaner kontrollierten die Straße an mehreren strategisch wichtigen Punkten. Jeder Versuch, auf der Straße vorzurücken, regte die Gegenseite zu Hinterhalten an und zog Störfeuer nach sich. Gleichermaßen unmöglich war ein Vorrücken durch das breite Tal, und zwar aus ähnlichen Gründen: Es stand ständig unter genauer Beobachtung. Genauso wenig konnte man sich auf den Bergrücken und Graten bewegen – sie waren zu zerklüftet, zu unwegsam. Wir waren gezwungen, einen Weg durch das Unterholz zu suchen. Und dieses Unterholz bot den Japanern unbegrenzte Deckungsmöglichkeiten. Sie hatten ein System von unabhängigen Bunkern perfektioniert, die sich gegenseitig mit Kreuzfeuer schützen konnten; wenn man einen angriff, dann geriet man automatisch in den Feuerbereich von zwei anderen. Die 2. Division war zwar bestens ausgerüstet, doch technisches Gerät zählte hier sehr wenig. Viele von uns übten sich im Kleinkrieg, ehe wir diesen Begriff überhaupt gehört hatten.
Bald darauf brachen wir zum Entsatz von Kohima auf.
Aus der Ferne betrachtet schien es, als verliefe der Merema-Rücken vorwiegend schnurgerade. Die Hänge und Abstürze zu ersteigen schien lediglich eine Frage von Geduld und ein wenig Ausdauer zu sein. Doch sobald wir uns unter der dichten Baumdecke befanden, mußten wir erkennen, daß jeder Berghang sich in Abstürze, Schluchten und Senken aufgliederte. Jedes kleine Plateau hatte seine eigenen Klippen. Und der Merema-Rücken war eigentlich nur eine eher unbedeutende Geländeformation dieser Gegend.
Bei Tageslicht behinderte die dichte Vegetation die allgemeine Sicht erheblich – man konnte Japanern auf die Pelle rücken, ehe man sie überhaupt sah. Gelegentlich erhaschte man einen Blick durch das Dickicht des Grates, auf dem man sich bewegte, sah Wolken, die über einem dahintrieben, und dachte: Gott sei Dank, wir haben es endlich geschafft! Man erreichte den angestrebten Punkt,
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