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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edo Popovic
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Und ich versuchte, vorauszusehen, wohin sie gehen würden. Es konnte kein Zufall sein, dass mir Fraktalfrau das Café Hummel als ersten Köder vorgeworfen hatte. In der Nähe dieses Cafés wohnten wir vor ungefähr zehn Jahren bei irgendwelchen Bekannten von der Grünen Aktion, als wir in Wien eine Ausbildung zu gewaltlosem Widerstand absolvierten. Dieses alte Kaffeehaus mit seinen schweren, roten Plüschvorhängen vor den Türen, mit Stühlen aus Kunstleder und mit seinem Tabakgeruch hatte uns damals gut gefallen, und wir haben oft erwähnt, dass wir irgendwann einmal wieder auf einen Kaffee dorthin kommen würden. Doch wir taten es nie. Es war gut möglich, dass sie auch als nächstes Ziel einen Ort auswählen würde, an dem wir einmal gemeinsam gewesen waren, aber welchen?
    Wenn ich fliehen müsste, würde ich mich nicht vom Fleck rühren. Das ist nicht meine Idee, das hat ein Schlangenjäger in einem alten Film gesagt: Die beste Art zu fliehen, ist, sich reglos zu verhalten, sich nicht vom Fleck zu rühren.
    Es überraschte mich, dass mich der Gedanke an Fraktalfrau nicht aufwühlte. Ich fühlte nicht einmal Traurigkeit. Mit der Zeit war all das von mir abgefallen. Eigentlich tat mir die Sorge um sie und um Gärtner und um die Witwe weh, der Gedanke daran, ob ich sie finden würde oder nicht, und daran, was hätte sein können, was aber nicht war. Ich tue all das hier nur wegen des monatlichen Honorars, das noch für eine unbestimmte Zeit kommen wird. Gewiss ist nur, dass die Witwe langsam die Geduld verliert, aber ihr Hass lodert noch immer. Dann hörte ich wieder den Alten. Er stand in der Tür des Esszimmers.
    Kommen Sie, lud er mich ein.
    Sein Zimmer war etwas größer als meins, und es hatte auch einen Balkon.
    Das ist alles, was ich brauche, sagte er und zeigte mit der Hand um sich.
    Zwei große, selbstgebaute Lautsprecherboxen, ein alter Verstärker mit analogem VU-Meter, ein Plattenspieler und ein CD-Player. Ein Regal, gefüllt mit CDs. Auf dem Tisch ein Laptop. In einer Nische stand eine Kommode, darauf ein Elektrokocher und eine Teekanne. Auf dem Regalbrett darüber Tassen und Untertassen, Dosen mit Kaffee und Tee.
    Ich habe es meinem Sohn und meiner Schwiegertochter überlassen, setzte er fort, diese Pension zu leiten, und sie haben sich notariell verpflichtet, mich bis an mein Lebensende hier wohnen zu lassen.
    Ich lachte. Ich hatte nicht gewusst, dass er der Besitzer dieser Pension war, und ich hatte es auch nicht aus seinem zurückhaltenden Benehmen dem Personal und jenem Paar in mittleren Jahren gegenüber schließen können, von dem ich angenommen hatte, dass sie die Besitzer seien. Ich dachte, er sei hier Gast.
    Warum lachen Sie? Heutzutage können Sie kaum wissen, wie jemand ist, bis Sie in Unannehmlichkeiten geraten. Und ich wollte nicht auf der Straße enden, derartige Überraschungen liegen mir nicht. Aber hören Sie sich das mal an.
    Auf dem Monitor des Laptops tauchte in dem Mediaplayer-Fenster eine Frau in einem violetten, ärmellosen Kleid mit kurzem, lockigem Haar auf. Hinter ihr saßen Geigenspieler. Der Alte klickte auf das lilafarbene Play-Dreieck und setzte sich auf das Bett.
    Das Orchester brachte das Zimmer zum Schwingen, und dieses Schwingen hielt einige Takte lang an. Dann schnitt die Querflöte einen Riss in die Melodie, und dann floss die Stimme wie ein Bach durch das Eis:
    Hebe dein Augenlid
    das jungfräulich schläft
    denn ich bin der Geist der Rose
    die du auf dem Ball getragen hast.
    Ich war überhaupt nicht auf diese Stimme vorbereitet, obwohl ich sie schon einige Male gehört hatte, allerdings nur durch die Wand. Doch jetzt spürte ich plötzlich ein Kribbeln an meinem Rückgrat, ich spürte, wie sich jedes Härchen an meinem Körper aufrichtete, eines nach dem anderen. Ich begriff nicht, was mit mir vor sich ging. Ich schaute den Alten an. Er saß aufrecht und mit geschlossenen Augen auf dem Rand des Bettes. Die Hände lagen in seinem Schoß, er atmete ruhig, und aus den Schlitzen zwischen seinen Augenlidern flossen Tränen. Eine Zeit lang starrte ich ihn wie verzaubert an, aber dann verspürte ich ein Unbehagen. Als hätte ich heimlich ein Liebespaar beobachtet. Ich schlich mich leise aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir.

Achtes Kapitel
    Binde die Wolke – Dunkle Kapuzen – Der Schwachsinnige und die Macht – Die Verfassung und Vidas drei Kündigungen
    AUS DEM REGELKATALOG DES SPIELS »BINDE DIE WOLKE«, VERÖFFENLICHT IN DER BROSCHÜRE

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