Der Auftraggeber
Rolltreppe hinauffuhr, sah sie sich unauffällig um. Sie mußten ihr gefolgt sein: Jusefs Beschatter. Er konnte sie nicht auf den Straßen von London herumlaufen lassen, ohne sie heimlich überwachen zu lassen - nicht nach dem Ansinnen, das er gestern abend formuliert hatte. Ein schwarzhaariger Mann starrte sie von einer Parallelrolltreppe aus an. Als ihre Blicke sich begegneten, lächelte er und versuchte, ihren Blick zu halten. Jacqueline merkte, daß er nur mit ihr anbändeln wollte. Sie wandte sich ab und sah demonstrativ geradeaus.
Als sie auf der Straße zur Galerie unterwegs war, glaubte sie, in einer Telefonzelle Gabriel stehen zu sehen, aber das war nur ein Doppelgänger Gabriels. Dann bildete sie sich ein, ihn aus einem Taxi steigen zu sehen, aber das war nur Gabriels nicht existierender jüngerer Bruder. Ihr wurde klar, daß sie auf allen Seiten von Männern umgeben war, die Gabriel ähnlich sahen. Jungen in Lederjacken. Junge Männer in modischen Geschäftsanzügen. Künstler, Studenten, Austräger -nach kleinen Veränderungen hätte Gabriel für jeden von ihnen durchgehen können.
Isherwood war heute früher da als sonst. Er saß an seinem Schreibtisch, telefonierte auf italienisch und sah verkatert aus. Er hielt die Sprechmuschel mit einer Hand zu und sagte nur mit Lippenbewegungen: »Kaffee, bitte.«
Jacqueline hängte ihren Mantel auf und setzte sich an ihren Schreibtisch. Isherwood würde auch noch einen Moment länger ohne seinen Kaffee überleben. Mit der Morgenpost, die vor ihr lag, war auch ein großer brauner Umschlag gekommen. Sie riß ihn auf, zog den Brief heraus.
Ich fahre nach Paris. Bleib unbedingt in der Galerie, bis Du von mir hörst, Sie knüllte den Brief zu einer kleinen Kugel zusammen.
3 1 Pari s
Gabriel hatte sein Frühstück nicht angerührt. Er saß im Eurostar in der ersten Klasse, hatte seinen Kopfhörer aufgesetzt und hörte sich Kassetten an, die er in seinem Walkman abspielte. Die ersten Begegnungen zwischen Jusef und Jacqueline. Jusef, der Jacqueline von dem Massaker im Lager Schatila erzählte. Jusefs Gespräch mit Jacqueline vom Vorabend. Er nahm diese Kassette heraus und legte eine neue ein: Jusefs Treff mit seinem Kontaktmann im Hyde Park. Wie oft er sich diese Aufnahme schon angehört hatte, wußte er nicht. Zehnmal? Zwanzigmal? Sie beunruhigte ihn von Mal zu Mal mehr. Er drückte die Rückspultaste und beobachtete das digitale Bandzählwerk, um die Kassette genau an der gewünschten Stelle anzuhalten.
»… nach Paris geschickt… ihre Story überprüfen… Probleme… andererseits… alles in Ordnung.« STOP.
Er setzte den Kopfhörer ab, zog ein kleines Notizbuch mit Spiralbindung aus der Tasche, schlug eine leere Seite auf. Dann schrieb er: nach Paris geschickt… ihre Story überprüfen… Probleme… andererseits… alles in Ordnung. Zwischen den Satzfetzen ließ er Lücken, deren Länge ungefähr den Pausen auf dem Tonband entsprach.
Darunter schrieb er: Wir haben einen Mann nach Paris geschickt, um ihre Story überprüfen zu lassen. Dabei hat's keine Probleme gegeben. Auch andererseits ist alles in Ordnung.
Denkbar war, daß der Unbekannte das gesagt hatte oder er konnte gesagt haben: Wir haben einen Mann nach Paris geschickt, um ihre Story überprüfen zu lassen. Dabei hat's große Probleme gegeben. Aber andererseits ist das alles in Ordnung.
Das ergab keinen rechten Sinn. Gabriel strich durch, was er geschrieben hatte, setzte den Kopfhörer wieder auf und hörte sich die Aufnahme zum x-tenmal an. Augenblick! dachte er dann. Hat Jusefs Kontaktmann andererseits oder andere Seite gesagt?
Diesmal schrieb er: Wir haben einen Mann nach Paris geschickt, um ihre Story überprüfen zu lassen. Dabei hat's Probleme gegeben. Wir glauben, daß sie für die andere Seite arbeitet. Aber das ist alles in Ordnung.
Weshalb sollten diese Leute Jacqueline auffordern, einen ihrer Agenten zu begleiten, wenn sie sie verdächtigten, für die andere Seite zu arbeiten?
Gabriel ließ das Band schnell vorlaufen, hielt es an und drückte auf PLAY .
»Keine Sorge, Jusef. Ihre Freundin kann Ihnen nichts abschlagen.«
STOP. ZURÜCKSPULEN. PLAY.
»Keine Sorge, Jusef. Ihre Freundin kann Ihnen nichts abschlagen.«
An der Gare du Nord stieg Gabriel in ein Taxi und gab dem Fahrer eine Adresse in der Avenue Foche an. Zehn Minuten später erklärte er ihm, er habe sich die Sache anders überlegt, bezahlte die Fahrt und stieg aus. Dann nahm er sich ein anderes Taxi. Mit
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