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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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ich überlebt. Vielleicht haben sie mich für tot gehalten. Ich weiß es nicht. Als ich wieder zu mir kam, war das Seil, mit dem sie mich hinter dem Lastwagen hergeschleppt hatten, noch um meinen rechten Knöchel verknotet. Ich kroch hinter einen Trümmerhaufen und wartete. Dort hielt ich mich eineinhalb Tage lang versteckt. Endlich war das Massaker beendet, und die Falangisten zogen sich aus den Lagern zurück. Ich kam aus meinem Versteck und schaffte es, zu unserer Hütte zurückzukriechen. Ich fand die Leiche meiner Mutter auf unserem Bett. Sie war nackt und war vergewaltigt worden, bevor man ihr die Brüste abgeschnitten hatte. Ich suchte meine Schwester und fand sie auf dem Küchentisch. Die Falangisten hatten sie zerstückelt und die Teile kreisförmig mit dem Kopf in der Mitte angeordnet.«
    Jacqueline wälzte sich aus dem Bett, kroch ins Bad und mußte sich heftig übergeben. Jusef kniete neben ihr und legte ihr eine Hand auf den Rücken, während sie krampfhaft würgte.
    Als ihr Brechreiz abgeklungen war, sagte er: »Du fragst mich, warum ich die Israelis so hasse. Ich hasse sie, weil sie die Falangisten entsandt haben, um uns massakrieren zu lassen. Ich hasse sie, weil sie untätig zugesehen haben, wie die Christen, ihre besten Freunde im Libanon, meine Mutter vergewaltigt und ermordet und meine Schwester zerstückelt und ihre Leiche kreisförmig ausgelegt haben. Jetzt weißt du, warum ich den sogenannten Friedensprozeß strikt ablehne. Wie könnte ich diesen Leuten trauen?«
    »Ja, ich verstehe.«
    »Verstehst du das wirklich, Dominique? Ist das möglich?«
    »Vermutlich nicht.«
    »Jetzt habe ich dir rückhaltlos ehrlich alles über mich erzählt. Gibt es etwas, das du mir von dir erzählen möchtest? Irgendwelche Geheimnisse, die du mir bisher verschwiegen hast?«
    »Nichts von Belang.«
    »Sagst du die Wahrheit, Dominique?«
    »Ja.«
    Der Anruf kam morgens um Viertel nach vier. Er weckte Jusef, nicht aber Gabriel, der sich bis zum frühen Morgen wieder und wieder Jusefs Bericht über die Ereignisse in Sabra und Schatila angehört hatte. Das Telefon klingelte nur einmal. Jusef sagte schlaftrunken: »Hallo.«
    »Lancaster Gate, morgen, vierzehn Uhr.«
    KLICK.
    »Wer war das?« fragte Jacqueline.
    »Jemand hat sich verwählt. Schlaf weiter.«
    Maida Vale frühmorgens. Eine Gruppe von Schuljungen neckte ein hübsches Mädchen. Jacqueline stellte sich vor, sie seien mit Messern und Beilen bewaffnete Falangisten. Ein Lastwagen, der schwarze Dieselqualmwolken ausstieß, röhrte an ihr vorbei. Jacqueline sah einen an die hintere Stoßstange gebundenen Mann, der zu Tode geschleift wurde. Vor ihr ragte ihr Wohnblock auf. Sie hob den Kopf und stellte sich vor, auf dem Dach stünden israelische Soldaten, die das Gemetzel durch Ferngläser verfolgten und Leuchtkugeln abschossen, damit die Killer ihre Opfer besser sehen konnten. Sie betrat das Gebäude,
    stieg die Treppe hinauf und sperrte ihre Wohnungstür auf. Drinnen saß Gabriel auf der Couch.
    »Warum hast du mir das verschwiegen?«
    »Was verschwiegen?«
    »Warum hast du mir verschwiegen, daß er Schatila überlebt hat? Warum hast du mir verschwiegen, daß seine Angehörigen dort abgeschlachtet wurden?«
    »Welchen Unterschied hätte das gemacht?«
    »Ich wünschte nur, ich hätte's gewußt!«
    Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. »Ist das wahr? Sind die Dinge, die er mir erzählt hat, wahr?«
    »Welcher Teil davon?«
    »Alles, Gabriel! Hör auf mit diesem Scheißspiel!«
    »Ja, es ist wahr! Seine Angehörigen sind in Schatila umgekommen. Er hat gelitten. Und wenn schon? Wir haben alle gelitten. Das gibt ihm kein Recht, Unschuldige zu ermorden, nur weil die Geschichte ihm übel mitgespielt hat!«
    »Er war unschuldig, Gabriel! Er war noch ein Kind.«
    »Wir sind mitten in einem Unternehmen, Jacqueline. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Debatte über moralische Gleichwertigkeit und die Ethik der Terrorismusbekämpfung.«
    »Ich entschuldige mich dafür, zugelassen zu haben, daß moralische Erwägungen mein Denken beeinflussen. Ich hatte vergessen, daß ihr, Schamron und du, nie über solche Bagatellen  stolpern würdet.«
    »Wirf mich nicht mit Schamron in einen Topf.«
    »Warum nicht? Weil er Befehle erteilt, und du sie ausführst?«
    »Was war mit Tunis?« fragte Gabriel. »Obwohl du wußtest, daß dort ein Attentat verübt werden sollte, hast du bereitwillig an diesem Unternehmen teilgenommen. Du hast dich sogar freiwillig

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