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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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eingekesselt.
    Gabriel bestellte Wein, trank aber keinen Schluck davon. Er bestellte Tagliatelle und einen Salat, aber vom Geruch des Essens wurde ihm fast schlecht. Zum Glück hatte die junge Frau eine gute Ausbildung gehabt. Sie übernahm die führende Rolle. Sie flirtete mit dem Kellner. Sie unterhielt sich mit dem Paar am Nebentisch. Sie verschlang ihr Essen und aß danach seinen Teller halb leer. Sie hielt seine Hand. Vieles an ihr erinnerte Gabriel wieder unangenehm an Leah. Ihr Duft. Die goldenen Flecken in ihren dunkelbraunen Augen. Die ausdrucksvollen Bewegungen ihrer langen Hände, mit denen sie ihre Worte unterstrich. Gabriel sah aus dem Fenster aufs Pflaster der Rue St. Denis hinaus, aber in Gedanken war er wieder in Wien und saß mit Leah und Dani in der Trattoria im jüdischen Viertel.
    Er war in Schweiß gebadet. Er spürte, wie kalte Tropfen ihm über Rückgrat und Rippen liefen. Die Beretta steckte in der Außentasche seiner Parka, die er so über die Stuhllehne gehängt hatte, daß er das beruhigende Gewicht der Waffe am Oberschenkel spüren konnte. Deborah plauderte munter. »Wir sollten einfach abhauen«, sagte sie gerade. »In die Karibik, nach St. Bart's, auf eine Tropeninsel mit gutem Essen und gutem Wein.«
    Gabriel hörte ihr mit einem Ohr zu - er nickte an den richtigen Stellen und warf ab und zu sogar ein paar Worte ein -, aber hauptsächlich stellte er sich vor, wie er Tariq erschießen würde. Das waren keine Gedanken, die ihm Freude machten. Er hatte sie nicht aus Zorn oder Rachsucht, sondern weil er die Tat wie ein Wendemanöver bei besonders schwierigen Wind- und Strömungsverhältnissen plante - oder wie die Ausbesserung einer abgeplatzten Stelle eines fünf Jahrhunderte alten Gemäldes.
    Er stellte sich vor, was passieren würde, nachdem er Tariq erschossen hatte. Deborah würde allein zurechtkommen. Gabriel war für Jacqueline verantwortlich. Er würde schnellstmöglich den Tatort mit ihr verlassen. Einer von Jadins Männern, der in einem gemieteten grünen Ford wartete, würde sie in der Rue St. Denis aufnehmen und zum Flughafen fahren. Unterwegs würden sie einmal das Fahrzeug wechseln. Auf dem Flughafen würden sie direkt zum General Aviation Terminal fahren und an Bord von Benjamin Stones Privatjet gehen. Klappte alles nach Plan, konnten sie morgen nachmittag in Israel sein.
    Falls nicht…
    Gabriel zwang sich, nicht an einen möglichen Fehlschlag zu denken.
    In diesem Augenblick zirpte sein Mobiltelefon. Er hielt es ans Ohr, hörte schweigend zu. Dann drückte er die rote Taste, gab das Mobiltelefon der jungen Frau, stand auf und zog seine Parka an. Die Beretta schlug an seine Hüfte. Er steckte seine Hand in die Tasche, hielt die Waffe am Griff fest.
    Gezahlt hatte er längst, um nicht auf die Rechnung warten zu müssen, wenn sie plötzlich gehen mußten. Die junge Frau ging durchs Lokal voraus. Gabriel hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Draußen rutschte er auf den eisigen Stufen aus und wäre hingefallen, wenn Deborah ihn nicht am Arm erwischt und gehalten hätte. Als sie den Gehsteig erreichten, waren Tariq und Jacqueline nirgends zu sehen. Gabriel stand so vor der jungen Frau, daß er dem Restaurant auf der anderen Straßenseite den Rücken zukehrte. Er küßte sie auf die Wange, dann brachte er seine Lippen dicht an ihr Ohr. »Sag mir, wenn du sie siehst.«
    Gabriel vergrub sein Gesicht seitlich an Deborahs Hals. Ihre Haare fielen über sein Gesicht. Ihr Duft war dem Leahs schockierend ähnlich. Er hielt sie mit der linken Hand an sich gedrückt. Die rechte Hand blieb in der Tasche seiner Parka, umklammerte den Griff der Beretta.
    Er ging den Ablauf in Gedanken ein letztes Mal durch. Er glaubte die Stimme eines Vortragenden bei der Ausbildung zu hören. Dreh dich um, geh direkt auf ihn zu. Nicht zögern oder bummeln, sondern zügig gehen. Sobald du nahe genug heran  bist, ziehst du mit der rechten Hand deine Pistole und schießt. Denk nicht an die Umstehenden, denk nur an die Zielperson. Werde der Terrorist. Du hörst erst auf, wenn der Terrorist tot ist. Das Reservemagazin steckt in deiner linken Tasche, falls du es brauchst. Laß dich nicht schnappen. Du bist ein Prinz. Du bist wertvoller als alle anderen. Tu alles, um nicht gefaßt zu werden. Versucht ein Polizeibeamter, dich aufzuhalten, erschießt du ihn ebenfalls. Du darfst dich unter keinen Umständen verhaften lassen.
    »Da kommen sie!«
    Sie gab ihm einen kleinen Schubs, damit ihre Körper sich trennten.

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