Der Auftraggeber
hatte.
Dann öffnete er die Augen, und Rom verschwand. »Anfangs ist es befriedigend«, gab er zu. »Aber nach einiger Zeit hat man das Gefühl, genauso schlimm zu sein wie die Leute, die man umbringt.«
»Jeder Krieg ist für die Soldaten belastend.«
»Blickt man einem Mann in die Augen, während man seinen Körper mit Blei vollpumpt, kommt einem das mehr wie Mord als Krieg vor.«
»Das ist kein Mord, Gabriel. Mord war es nie.«
»Wie kommen Sie darauf, daß ich Tariq finden könnte?«
»Weil ich jemanden gefunden habe, der für ihn arbeitet. Jemanden, der uns zu Tariq führen kann.«
»Wo ist er?«
»Hier in England.«
»Wo?«
»In London, was mich vor ein Problem stellt. Unser Abkommen mit den britischen Geheimdiensten verpflichtet uns dazu, ihnen jeden Einsatz auf englischem Boden zu melden. Ich würde mich lieber nicht an das Abkommen halten, weil die Briten ihre Freunde in Langley informieren würden - und Langley würde uns unter Druck setzen, das Unternehmen abzublasen, um den Friedensprozeß nicht zu gefährden.«
»Das ist allerdings ein Problem.«
»Deshalb brauche ich Sie, Gabriel. Ich brauche jemanden, der ein Unternehmen in England durchführen kann, ohne die Einheimischen mißtrauisch zu machen. Jemanden, der eine einfache Überwachung durchführen kann, ohne sie zu vermurksen.«
»Ich beobachte ihn, und er führt mich zu Tariq?«
»Klingt ganz einfach, nicht wahr?«
»So einfach ist die Sache nie, Ari. Vor allem nicht, wenn Sie mit drinstecken.«
Gabriel betrat das Lotsenhäuschen und warf seine Jacke aufs Feldbett im Wohnzimmer. Er spürte sofort die magische Anziehungskraft des Vecellios. Das war immer so. Er ging nie aus dem Haus, ohne noch einen Augenblick vor seiner Arbeit zu verharren, und kam nie nach Hause, ohne sofort in sein Atelier zu gehen, um das Gemälde zu betrachten. Es war das erste, was er jeden Nachmittag beim Aufwachen sah, und das letzte, was er jeden Morgen sah, bevor er sich hinlegte. Es grenzte anBesessenheit, aber nach Gabriels Überzeugung konnte nur ein Besessener ein guter Restaurator sein. Oder ein guter Attentäter.
Er stieg die Treppe in sein Atelier hinauf, schaltete die Leuchtstoffröhren ein und betrachtete das Gemälde. Gott, wie lange arbeitete er schon daran? Ein halbes Jahr? Sieben Monate? Vecellio hatte dieses Altarbild vermutlich in ein paar Wochen gemalt. Er würde zehnmal länger brauchen, um es zu restaurieren.
Gabriel ließ sich durch den Kopf gehen, was er bisher gemacht hatte. Zwei Wochen Beschäftigung mit Vecellio. Leben, Einflüsse, Maltechnik. Einen Monat Untersuchung von Die Anbetung der Hirten mit verschiedenen High-Tech-Verfahren: das Wild-Mikroskop zur Begutachtung der Oberfläche, Röntgenfotografie, um unter die Oberfläche zu sehen, und ultraviolettes Licht, um frühere Retuschen sichtbar zu machen. Nach dieser Analyse vier Monate Arbeit, um den schmutzigen, vergilbten Firnis zu entfernen. Das ging nicht so schnell, wie einen Couchtisch abzuziehen; das war eine langweilige, zeitraubende Arbeit. Als erstes hatte er das perfekte Lösungsmittel mischen müssen, das den Firnis entfernte, ohne die Farben darunter anzugreifen. Er tauchte selbstgefertigte Wattestäbchen ins Lösungsmittel und wischte mit drehenden Bewegungen über das Bild, bis die Watte von altem Firnis schmutzig war. Dann fertigte er das nächste Wattestäbchen an und wiederholte diesen Vorgang. Eintauchen - wischen wegwerfen. Eintauchen - wischen - wegwerfen. Als wollte man das Oberdeck eines Schlachtschiffs mit einer Zahnbürste putzen. An einem guten Tag konnte er so ein handtellergroßes Stück des Gemäldes säubern.
Jetzt hatte er mit der Endphase seiner Restaurierung begonnen: mit dem Ausbessern jener Teile des Altarbilds, die im Lauf der Jahrhunderte beschädigt oder zerstört worden waren. Das war sehr anstrengende Feinarbeit, bei der er Nacht für Nacht stundenlang mit aufgesetzter Lupenbrille arbeiten mußte. Sein Ehrgeiz war, die Retuschen so auszuführen, daß sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen waren. Pinselstriche, Farben und Textur mußten exakt dem Original entsprechen. Wies die Umgebung des Farbauftrags Haarrisse auf, malte Gabriel hauchfeine Risse in seine Retusche. Hatte der Künstler ein besonderes Kobaltblau verwendet, brachte Gabriel Stunden damit zu, auf seiner Palette Pigmente anzumischen, um genau diesen Ton zu treffen. Als Restaurator mußte er ungesehen im Hintergrund bleiben. Er mußte das Gemälde hinterlassen, wie er es
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