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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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    Er überflog den Text, schenkte sich Kaffee nach und las ein zweites Mal gründlich. Er hatte das seltsame Gefühl, durch die Räume seiner Kindheit zu gehen - alles war vertraut, aber leicht verändert, etwas kleiner, als er es in Erinnerung hatte, vielleicht etwas abgenutzter. Wie jedesmal fielen ihm die Gemeinsamkeiten zwischen der Kunst des Restaurierens und der Kunst des Tötens auf. Die Verfahrensweise war identisch: das Ziel studieren, mit ihm eins werden, den Auftrag ausführen, unerkannt verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Statt dieser Ermittlungsakte über einen Terroristen namens Jusef al-Tawfiki hätte er ebensogut eine wissenschaftliche Abhandlung über Francesco Vecellio lesen können.
    Würden Sie mir helfen, Tariq zu erledigen, könnten Sie vielleicht endlich Leah loslassen und ihr eigenes Leben weiterleben.
    Nachdem er die Akte zum zweitenmal gelesen hatte, öffnete er den Schrank unter dem Ausguß und holte einen Kasten aus Edelstahl heraus. Er enthielt eine Pistole: eine halbautomatische Beretta Kaliber 22 mit einem längeren Lauf, wie ihn Sportschützen verwendeten. Die vom Dienst bevorzugte Waffe für Attentate leise, schnell, zuverlässig. Gabriel ließ das Magazin aus dem Griff gleiten und drückte mit dem Daumen acht Patronen hinein. Ihre verringerte Treibladung bewirkte, daß die Beretta äußerst leise schoß. Als er in Rom einen der führenden Köpfe der Terrororganisation Schwarzer September erschossen hatte, hatten die Nachbarn die tödlichen Schüsse für Feuerwerkskörper gehalten.
    Gabriel rammte das Magazin wieder in den Griff und zog den Schlitten zurück, um die erste Patrone in die Kammer zu befördern. Die Feder im Rückholmechanismus hatte er durch eine etwas schwächere ersetzt, um die geringere Treibladung in den Patronen auszugleichen. Jetzt hob er die Waffe und zielte über Kimme und Korn. Vor ihm erschien ein Bild: blasse olivenfarbene Haut, sanfte braune Augen, schwarzer Bürstenhaarschnitt.
    Tariq hat die Seine mit dem Blut unseres Volkes rot gefärbt. Tariq - Ihr alter Freund.
    Gabriel ließ die Pistole sinken, klappte die Akte zu und drückte die Handballen gegen seine Augen. Nach dem Desaster in Wien hatte er sich einen Eid geschworen. Er würde den Dienst endgültig verlassen: keine weiteren Gastspiele, keine Reisen in die Vergangenheit, keine Kontakte zur Zentrale, Punktum. Er würde Gemälde restaurieren, seine Kräfte mit der See messen und zu vergessen versuchen, was in Wien passiert war. Er hatte schon oft erlebt, daß alte Ehemalige reaktiviert wurden, wenn der Dienst für irgendeinen Scheißjob gerade niemanden hatte -allzu viele Männer konnten die Geheimdienstwelt nie ganz hinter sich lassen.
    Aber was war, wenn das stimmte? Wenn der Junge ihn wirklich zu Tariq führen konnte?
    Vielleicht könnten Sie sich verzeihen, was in Wien passiert ist, wenn Sie mir helfen würden, Tariq zu erledigen.
    Er ging ins Atelier hinauf und trat an den Vecellio, um die Arbeit von letzter Nacht zu begutachten. Damit konnte er zufrieden sein. Wenigstens in dieser Beziehung hatte Schamrons Besuch sein Gutes gehabt. Er empfand Bedauern bei dem Gedanken, den Vecellio zurücklassen zu müssen, falls er Schamrons Auftrag übernahm. Bei seiner Rückkehr würde ihm das Bild fremd sein. Er würde praktisch von vorn anfangen müssen. Und der Rembrandt? Den Rembrandt würde er Christie's wegen angeblicher Arbeitsüberlastung mit tausend Entschuldigungen zurückgeben. Aber nicht den Vecellio. In den hatte er zu viel Zeit - zu viel von seiner eigenen Persönlichkeit - investiert, als daß er ihn jetzt einem anderen hätte überlassen können. Dies war sein Gemälde. Julian würde einfach warten müssen.
    Gabriel ging wieder hinunter, drehte das Gas in der Küche ab, packte die Beretta weg und legte Schamrons Akte in eine Schublade. Als er ins Freie trat, trieb ein nasser Windstoß ihn fast ins Haus zurück. Die Luft war schneidend kalt, die Regentropfen trafen sein Gesicht wie Schrotkugeln. Er kam sich vor, als werde er aus einem warmen, sicheren Versteck herausgerissen. Die Flaggleinen knallten gegen die Masten seiner Ketsch. Die Möwen flogen kreischend vom Fluß auf und flatterten in Richtung Meer, ein Gewirr von weißen Schwingen vor den bleigrauen Wolken. Gabriel zog sich die Kapuze über den Kopf und schritt aus.
    Vor dem Dorfladen stand eine Telefonzelle. Gabriel wählte die Nummer des Hotels Savoy in London und verlangte Herrn Rudolf Heller. Er stellte sich Schamron

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