Der Auftraggeber
geleitete Schamron durch den Ankunftsbereich in einen sicheren Raum, der für Angehörige des Diensts und bestimmte Gäste reserviert war. Dort vertauschte Schamron seinen europäischen Geschäftsanzug wieder gegen Khakihose und Bomberjacke.
»Der Premierminister will Sie noch heute abend sprechen, Boß.«
Soviel zu seinem Vorsatz, sich aus dem Unternehmen rauszuhalten, dachte Schamron.
Sie fuhren in Richtung Jerusalem in die Hügel hinauf. Unterwegs arbeitete Schamron die Akten durch, die sich während seiner kurzen Abwesenheit angesammelt hatten.
Wie so häufig war in der buntscheckigen Regierungskoalition des Premierministers eine Krise ausgebrochen. Um seine Amtsräume zu erreichen, mußte Schamron sich erst durch einen mit streitenden Politikern angefüllten verrauchten Korridor schlängeln.
Der Premierminister hörte gespannt zu, als Schamron ihm den neuesten Stand der Dinge schilderte. Er war von Natur aus ein Intrigant. Er hatte seine Karriere in der mörderischen Atmosphäre von Forschung und Lehre begonnen und war dann ins Hornissennest des Außenministeriums übergewechselt. Als er später die politische Arena betrat, beherrschte er die schwarze Kunst des bürokratischen Verrats perfekt. Sein kometenhafter Aufstieg innerhalb der Partei war nicht nur auf seine überragende Intelligenz, sondern auch auf seine Bereitschaft zurückzuführen, mit Tricks, Desinformation und unverhüllter Erpressung zu arbeiten, um zu bekommen, was er wollte. In Schamron sah er eine verwandte Seele - einen Mann, der vor nichts zurückschreckte, wenn er glaubte, seine Sache sei gerecht.
»Es gibt nur ein Problem«, sagte Schamron.
Der Premierminister sah ungeduldig zur Decke auf. »Bringt mir Lösungen, keine Probleme«, war eine seiner liebsten Redensarten. Schamron war instinktiv mißtrauisch gegenüber Männern, die nach griffigen Maximen lebten.
»Benjamin Stone.«
»Was ist mit ihm?«
»Sein Unternehmen steht kurz vor der Pleite. Er reißt Löcher auf, um andere zu stopfen, und seine Geschäftspartner werden allmählich zornig.«
»Betrifft uns das?«
»Geht er still unter, fehlt uns in Zukunft nur sein Geld. Tritt er dagegen mit einem Riesenkrach ab, könnte es für uns ungemütlich werden. Er weiß zuviel, fürchte ich.«
»Benjamin Stone tut nichts still.«
»Ganz recht.«
»Was ist mit den hübschen Amateurfilmen, die Ihre Leute letztes Jahr im Hotel King David aufgenommen haben?«
»Die sind mir damals nützlich erschienen, aber Stone hat sich ein ziemlich dickes Fell zugelegt, was öffentliche Bloßstellungen betrifft. Ich bezweifle, daß es ihm wirklich
peinlich wäre, wenn die Welt sähe, wie er sich mit einer israelischen Prostituierten vergnügt.« »Die Politiker draußen im Gang sind mein Problem«, sagte der
Premierminister. »Aber Benjamin Stone ist Ihres, fürchte ich. Lösen Sie's, wie Sie's für richtig halten.«
TEIL I I - AUSWERTUN G
1 1 Pari s
Vor dem Krieg war Maurice Halévy einer der prominentesten Anwälte von Marseille. Seine Frau Rachel und er lebten in einer stattlichen alten Villa in der Rue Sylvabelle in den Beaux Quartiers, wo die meisten der erfolgreich assimilierten Juden der Stadt sich niedergelassen hatten. Sie waren stolz darauf, Franzosen zu sein, und hielten sich in erster Linie für Franzosen und erst in zweiter für Juden. Tatsächlich war Maurice Halévy so assimiliert, daß er sich selten die Mühe machte, in die Synagoge zu gehen. Aber als die Deutschen Frankreich besetzten, war mit dem idyllischen Leben der Halévys in Marseille abrupt Schluß. Im Oktober 1940 verkündete das mit der Besatzungsmacht kollaborierende Vichy-Regime das Statut des Juifs, jenen antijüdischen Erlaß, der die Juden in Vichy-Frankreich zu Bürgern zweiter Klasse machte. Maurice Halévy durfte nicht mehr als Anwalt tätig sein. Er mußte sich bei der Polizei registrieren lassen, und später wurden seine Frau und er gezwungen, auf ihrer Oberbekleidung den Davidsstern zu tragen.
Die Situation verschlimmerte sich 1942, als die Wehrmacht nach der alliierten Invasion in Nordafrika auch Vichy-Frankreich besetzte. Französische Widerstandskämpfer führten reihenweise Angriffe auf deutsche Einrichtungen durch. Mit Unterstützung der Vichy-Behörden antwortete der deutsche Sicherheitsdienst darauf mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen. Maurice Halévy konnte die drohende Gefahr nicht länger ignorieren. Rachel erwartete ein Kind. Der Gedanke, unter den in Marseille herrschenden chaotischen
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