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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Sorgen um dich gemacht.«
    »Ich bin ein bißchen herumgelaufen. Ich gehe gern in dieser Stadt spazieren - vor allem wenn es schneit.«
    »Wie spät ist es?«
    »Halb fünf. Mußt du nicht allmählich aufstehen?«
    »Ich muß erst in einer Stunde weg.«
    Tariq machte ihr einen Becher Nescafé und trug ihn in die Schlafkabine. Inge richtete sich, auf einen Ellbogen gestützt, halb auf. Dabei rutschte die Bettdecke nach unten, so daß ihre Brüste zu sehen waren. Tariq gab ihr wortlos den Becher und sah weg. Die Augen der jungen Frau beobachteten ihn über den Becherrand hinweg, während sie mit kleinen Schlucken den heißen Kaffee schlürfte. Dann fragte sie: »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, alles bestens.«
    »Warum hast du weggesehen?«
    Sie setzte sich auf und schob die Decken beiseite. Tariq hätte am liebsten nein gesagt, aber er fürchtete, sie könnte es verdächtig finden, wenn ein Franzose das eindeutige Angebot einer attraktiven jungen Frau ausschlug. Deshalb blieb er an der Bettkante stehen und ließ sich von ihr ausziehen. Und als er wenige Minuten später in ihr explodierte, dachte er nicht an Inge, sondern stellte sich vor, wie er endlich Gabriel Allon erledigen würde.
    Nachdem sie gegangen war, blieb er noch lange in ihrem Bett liegen und horchte auf die Geräusche, die das in der schwachen Strömung des Flusses dümpelnde Boot machte. Die Kopfschmerzen setzten eine Stunde später ein. Sie kamen jetzt häufiger - dreimal, manchmal sogar viermal pro Woche. Der Arzt hatte ihm gesagt, daß das passieren würde. Die Schmerzen wurden langsam stärker, bis sie ihn nahezu blind machten. Er legte sich ein feuchtes, kaltes Handtuch aufs Gesicht. Nur keine Schmerzmittel. Sie stumpften seine Sinne ab, ließen ihn bleischwer schlafen und gaben ihm das Gefühl, rückwärts in unendliche Tiefen zu stürzen. So lag er allein in Inges Bett, allein in einem Hausboot auf der Amstel, und litt, als gieße jemand geschmolzenes Blei durch die Augenhöhlen in seinen Schädel.

1 6 Valbonne, Provenc e
    Der Morgen war klar und ziemlich frisch, obwohl die Hügel bereits in der Morgensonne lagen. Jacqueline zog eine beige Stretchhose und einen Wollpullover an und versteckte ihr langes Haar unter einem dunkelblauen Helm. Dann setzte sie eine Panoramasonnenbrille auf und begutachtete ihre Erscheinung im Spiegel. Sie sah wie ein sehr attraktiver Mann aus, so wie sie es beabsichtigt hatte. Nach einigen Aufwärm-und Dehnübungen ging sie in die Diele hinunter, in der ihr Bianchi-Rennrad an der Wand lehnte. Sie schob das Rad aus der Haustür und über die mit Kies bestreute Einfahrt, bevor sie sich in den Sattel schwang. Sekunden später rollte sie durch die kalten Schatten die lange sanfte Gefällestrecke in die kleine Stadt hinunter.
    Sie fuhr durch Valbonne und nahm die lange, gleichmäßige Steigung nach Opio hinauf in Angriff, während die kalte Luft ihr Gesicht brennen ließ. Auf den ersten Kilometern trat sie langsam und gleichmäßig in die Pedale, bis ihre Muskeln warm geworden waren. Dann wechselte sie den Gang und trat schneller. Bald flog sie mit gesenktem Kopf und wie Kolben pumpenden Beinen die schmale Straße entlang. Überall hing Lavendelduft in der Luft. Neben ihr zog sich ein Olivenhain über einen terrassenförmig abgestuften Hang hinunter. Sie fuhr aus dem Schatten der Olivenbäume auf eine in warmem Sonnenschein liegende Hochebene hinaus. Kurz darauf spürte sie, daß sie in ihrem Wollpullover zu schwitzen begann.
    Auf halber Strecke kontrollierte sie ihre Zwischenzeit: nur 30 Sekunden über ihrer Bestzeit. Nicht schlecht für einen kalten Dezembermorgen. Sie fuhr in einen Verkehrskreisel ein, schaltete herunter und nahm einen langen, steilen Hügel in Angriff. Schon nach kurzer Zeit kamen ihre Atemzüge heiser keuchend, und ihre Oberschenkel brannten - die gottverdammten Zigaretten! -, aber sie zwang sich dazu, die lange Steigung im Sattel sitzend hinaufzustrampeln. Sie dachte an Michel Duval: Schwein! Hundert Meter unterhalb des höchsten Punkts erhob sie sich aus dem Sattel, trat im Stehen wütend in die Pedale und ermahnte sich dabei laut, weiterzutreten und nicht auf die Schmerzen zu achten.
    Dafür wurde sie nun mit einer langen Abfahrt belohnt. Sie hätte einfach den Berg hinunterrollen können, aber sie nahm rasch einen Schluck aus ihrer Trinkflasche und spurtete dann die Gefällestrecke hinunter. Als sie wieder am Ortsschild Valbonne vorbeiflitzte, sah sie erneut auf die Uhr in ihrem Radtacho.

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