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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Wohnung mitnehmen lassen, sich darin umsehen, Abdrücke von seinen Schlüsseln machen und wieder verschwinden. Sie hatte sich für keine langfristige Romanze verpflichtet. Sie schauderte bei dem Gedanken, wieder mit Jusef schlafen zu müssen. Sie hatte zugestimmt, nach London zu kommen, weil sie geglaubt hatte, die Zusammenarbeit mit Gabriel würde ihre Romanze neu aufflammen lassen. Dieser Einsatz hatte sie im Gegenteil eher entfremdet. Sie sah Gabriel kaum - seine Mitteilungen kamen brieflich -, und bei ihren wenigen Treffs war er kalt und abweisend gewesen. Sie war töricht gewesen, als sie gehofft hatte, zwischen ihnen könnte es wieder so werden wie in Tunis.
    Jacqueline betrat die U-Bahnstation Piccadilly und fuhr ins Gedränge auf dem Bahnsteig hinunter. Sie dachte an ihr Landhaus, an Radtouren über die im Sonnenglanz liegenden Hügel um Valbonne. Einen Augenblick lang stellte sie sich vor, daß Gabriel neben ihr fuhr, wie seine Beine rhythmisch pumpten. Dann kam sie sich albern vor, weil sie sich gestattete, solchen Tagträumen nachzuhängen. Als die U-Bahn einfuhr, zwängte sie sich in einen überfüllten Wagen und hielt sich an einer Haltestange fest. Während die U-Bahn ruckend anfuhr, beschloß sie, dies sei die letzte Nacht. Morgen früh würde sie Gabriel sagen, daß sie aufhören wolle.
    Gabriel ging auf dem Teppich seines Wohnzimmers auf und ab und trieb spielerisch einen hellgrünen Tennisball vor sich her. Es war kurz vor Mitternacht. Jacqueline und Jusef hatten gerade ihren Liebesakt beendet. Er hörte mit, als sie sich gegenseitig versicherten, es sei wundervoll gewesen. Er hörte mit, als Jusef die Toilette benutzte. Er hörte mit, als Jacqueline barfuß in die Küche tappte, um sich etwas zu trinken zu holen. Er hörte mit, als sie Jusef fragte, wo er ihre Zigaretten versteckt habe.
    Er lag auf der Couch, hatte den Kopf auf die Armlehne gestützt, warf den Ball hoch und fing ihn wieder auf, während er auf den Beginn des nächtlichen Seminars wartete. Er überlegte, wie das Thema diesmal lauten würde. Worüber hatte Jusef letzte Nacht referiert? Über den Mythos, nur die Juden könnten die Wüste zum Blühen bringen? Nein, das war vorletzte Nacht gewesen. Letzte Nacht hatte er darüber gesprochen, wie der Rest der arabischen Welt die Palästinenser verraten habe. Gabriel knipste die Stehlampe aus, warf den Ball aber weiter hoch und fing ihn in der Dunkelheit auf, um seine Reflexe und sein Wahrnehmungsvermögen zu testen.
    Jusef kam barfuß ins Schlafzimmer zurück.
    »Wir müssen miteinander reden«, sagte er ernsthaft. »Ich habe dich in einem Punkt getäuscht. Aber jetzt mußt du die Wahrheit erfahren.«
    Gabriel schnappte sich den Tennisball aus der Luft und hielt ihn mit einer Hand umklammert. Er dachte an Leah und an die Nacht, in der sie fast dieselben Worte benutzt hatte, bevor sie ihm erzählte, daß sie sich ihrerseits Liebhaber genommen habe,  um sich für seine Untreue zu rächen.
    »Klingt schrecklich ernst«, sagte Jacqueline leichthin.
    Gabriel warf den Ball mit einer lockeren Bewegung seines Handgelenks wieder ins Dunkel hinauf.
    »Es geht um die Narbe auf meinem Rücken.«
    Gabriel stand auf und machte wieder Licht. Dann kontrollierte er seine Tonbandgeräte, um sich zu vergewissern, daß sie einwandfrei funktionierten.
    »Was ist mit der Narbe auf deinem Rücken?« fragte Jacqueline.
    »Wie sie dort hingekommen ist.«
    Jusef setzte sich ans Fußende des Betts. »Ich habe gelogen, als ich erzählt habe, wo ich sie herhabe. Ich möchte dir die Wahrheit sagen.«
    Er holte tief Luft, atmete langsam aus und fing an, leise und bedächtig zu sprechen.
    »Unsere Familie ist in Schatila geblieben, auch als die PLO aus dem Libanon vertrieben wurde. Vielleicht erinnerst du dich an jenen Tag, Dominique, an dem Arafat und seine Guerillas das Land verließen, während die Israelis und die Amerikaner ihnen am Hafen zum Abschied nachwinkten. Nach dem Abzug der PLO waren wir schutzlos. Der Libanon lag in Trümmern. Christen, Sunniten, Schiiten, Drusen - jeder kämpfte gegen jeden, und die Palästinenser gerieten zwischen alle Fronten. Wir lebten in großer Angst, daß etwas Schreckliches passieren könnte. Erinnerst du dich daran?«
    »Ich war noch klein, aber ich glaube, daß ich mich daran erinnere.«
    »Die Situation glich einem Pulverfaß. Ein einziger Funke würde genügen, um einen Holocaust auszulösen. Als dieser Funke erwies sich die Ermordung Baschir Gemayels. Er war das Oberhaupt

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