Der Augenblick der Liebe
schlecht‐
hin Unabdingbare. Von heute aus gesehen, gibt es für die Schrift LʹHomme Machine keinen irreführenderen Titel. Man vergesse doch nicht, daß La Mettrie danach noch verfaßt hat
LʹHomme Plante und Les Animaux plus que Machines. Letzteres versehen mit einem Motto von Moliere: Les Bêtes ne sont pas si bêtes que lʹon pense.
Es lohnt nicht, die vom Vorurteil lebenden Verfälschungen
ins Sciencefictionhafte zu widerlegen. Aber vielleicht hilft es, sich vorzustellen, was alles machine im Französischen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedeutet haben kann. Im Dictionnaire Universel aus dem Jahr 1752 ist alles aufgeführt, was La Mettrie bei der Arbeit an diesem Buch in den Jahren
bis 1747 wissen konnte, welche Vorstellungen, auch Empfin‐
dungen, dieses Wort in ihm weckte. Außer den Maschinen‐
Bedeutungen, die sich bis heute gehalten haben, ist damals der deus ex machina mehr als ein Theatertrick. Der Dictionnaire von 1752 versteht unter deus ex machina jede Art von
dichterischen Einfällen oder Handlungen, mit deren Hilfe
unlösbar gewordene Schwierigkeiten überwunden werden.
Und es ist eben die Mitwirkung von etwas Göttlichem (de quelque Divinité), die dann als machine übernatürliche
Wirkungen erbringt. Gottliebes und Maschinelles in einer
uns nicht mehr vorstellbaren Intim‐Kooperation. Die Ma‐
schine ist da alles andere als ein seelenloses Gefüge. La Mettrie hat, zum Beispiel, die Maschinen‐Vorstellung
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benutzt, um zu beweisen, daß die Willensfreiheit ein Irrtum
ist. Wie kann ein Mensch eine Maschine, die er nicht selber gebaut hat, die er aber ist, nach seinem Willen lenken?
Maschinell muß für ihn ein Wort gewesen sein wie für uns automatisch. Da denken wir auch nicht mehr an einen Automaten, sondern an von selbst. Aber daß er mit Maschine das Gegenteil von allem Kybernetisch‐Roboterhaften gedacht
und beschrieben hat, sollte zweihundertfünfzig Jahre nach
seinem Tod auch in der deutschen Sprache denkmöglich
werden. Seine esprits animaux sind keine Mega‐ und Giga-bytes. Les Poétes apellent le monde la machine ronde. So offerier-te es der Dictionnaire von Trévoux im Jahr 1752. Erwähnens-wert ist die historisch bedingte Unfähigkeit der deutschen Sprache, auf dieses französische Denkangebot, vernünftig,
das heißt: nicht ideologisch zu reagieren.
LʹOrganisation est le premier mérite de lʹHomme heißt es in Die Maschine Mensch. Das wird so übersetzt: Dieser organische Bau ist das erste Verdienst des Menschen. Etwa zu sagen: Der Mensch ist vor allen anderen Lebewesen ausgezeichnet durch seine Organisation ging nicht, weil in der deutschen Sprache in Organisation nichts Organisches mehr mitklingt, während im Dictionnaire Universel von Furetiére, 1725, steht: Organisation.
Terme dʹAnatomie, und: Il signifie ainsi, la figure de lʹorgane de la génération. Also das Geschlechtsteil selbst heißt lʹOrganisation. Mehr Körper kann man dem Wort kaum mitgeben.
Und zum Seelischen steht da, daß also die Seele sich bildet, wie der Körper sich organisiert. Also: daß die Seele jeweils dem Körperlichen entspricht. Und deshalb sah eben ein La Mettrie das Organische als das, von dem die Entwicklung
der Seele bestimmt wird.
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Ein solches Angebot war keinem deutschen Denker je
beschieden. Unsere Sprache lebte, wie es La Mettrie einmal aus der deutschen Philosophie zitierte, von der symbolischen Erkenntnis. Er aber lebte von der durch die Sinne, durch die Erfahrung, durch das medizinische Studium genährten
Erkenntnis, was eben heißt: wenn die Philosophie noch eine
Magd war, dann nicht mehr die der Theologie, sondern die der Natur. Alle Fähigkeiten der Seele seien abhängig de la propre Organisation du Cerveau et de Wut le Corps, quʹelles ne sont visiblement que cette Organisation même. Voilá une Machine bien éclairée! Übersetzt wird: Da aber alle Fähigkeiten der Seele so sehr von dem eigentümlichen Bau des Gehirns und des ganzen Körpers abhängen, daß sie offensichtlich nur dieser organische Bau selbst sind, so haben wir es mit einer gut erleuchteten Maschine zu tun. Daß die Seele nichts ist als die Organisation selbst, diese Seinsintimität ist der deutschen Sprache offensichtlich nicht zumutbar. Wenn La Mettrie Materie des Höchsten für fähig
hält, nämlich der Gewissensregung, ruft er geradezu aus:
LʹOrganisation suffiroit‐elle donc á tout? Oui, encore une fois.
Und wieder kann das Deutsche nur hinkend folgen.
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