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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Sollte der
    organische Bau allem genügen? Noch einmal Ja.
    Der Übersetzer und Herausgeber Bernd A. Laska ist, soweit
    ich sehe, der einzige, der gewagt hat, lʹOrganisation Organi‐
    sation sein zu lassen. Mit eindeutschender Umständlichkeit wäre La Mettries letzte große Schrift, der Anti‐Seneca, nicht zu übersetzen gewesen. Das Glück, das aus unserer Organisation stammt, ist das beständigste und am schwersten zu erschüt-ternde. Oder über die Erziehung: Alte Prägungen sind schnell einmal vergessen. «Maschinenmäßig» gewinnt dann die Organisation zurück, was die Erziehung ihr geraubt zu haben schien, so 118
    als ob die Formung nach einem Ideal eine Verformung gewesen wäre. Hier denkt man bei maschinenmäßig automatisch an automatisch beziehungsweise von selbst. Wenn es einem Übersetzer erlaubt wäre, ein Wort nur auf seine Bedeutung hin zu übersetzen, dann wäre LʹOrganisation am vollstän-digsten mit Natur zu übersetzen.
    Manfred Eigen, der gedankenreiche und sprachbewußte
    Physiker, hat, als er die Zusammenwirkung von Nuklein‐
    säuremolekülen mit Proteinmolekülen bei der Entstehung
    des Lebens beschrieb, formuliert, daß die Selbstorganisa-tionsfähigkeit der Materie bisher eher unter‐ als überschätzt wurde.
    La Mettrie war nicht der erste und nicht der letzte, der das Organische beziehungsweise die Natur zur Bedingung für
    alles machte. Es gab vor ihm Spinoza, der alles, was La Mettrie erlebte und beschrieb, schon systematisch entwickelt
    hatte − die materielle Einheit der Welt bis zur empfin‐
    dungsfähigen Materie −, und er hat dafür genug
    Feindseligkeit geerntet; aber er hat offenbar die Erfahrung, daß die Materie fähig ist zu empfinden, nicht aus seinem eigenen Körper und dessen Bedürfnissen und Ansprüchen
    abgeleitet. Er hat der Natur Gottlieben Rang erobert. Aber um sie so zu erhöhen, brauchte er doch noch Gott. Den
    braucht La Mettrie nicht mehr. Ohne Gott aktiv zu leugnen,
    entwickelt er eine vor Freude und Farben strahlende Welt an
    diesem Mastergott vorbei: Deshalb konnte Lessing, der La
    Mettrie als Pornoschriftsteller verachtete, sagen: Es gibt keine andere Philosophie als die Philosophie Spinozas. Und später Albert Einstein, von einem Rabbiner gefragt, ob er an Gott glaube: Ich glaube an den Gott Spinozas ... Auch wenn er dann den allzu menschenähnlichen Gott verwirft und aus Spinoza

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    einen Gott der Superstruktur bezieht, auf La Mettrie wird sich keiner berufen, wenn er nach Gott gefragt wird. Er ist als
    Arzt so erfahrungshörig wie als Philosoph. Daß er nicht von
    sich absehen kann, befreit ihn aus den Zwängen zum
    System, das nachher nicht mehr weiß (oder sogar verbirgt), woher es kommt und stammt.
    Die Empfindung bzw. Wahrnehmung erklärt er zur Quelle allen Urteilens. So kann er gegen Ende seines Anti‐Seneca sagen: Ich habe das Thema meinen Empfindungen entsprechend abgehandelt und sozusagen meinen Charakter zu Papier gebracht.
    Trotz dieses nichts als persönlichen Schreibens geht ihm der
    gesellschaftliche, ja menschheitliche Anlaß nie verloren.
    Wenn er sich gegen Anfeindungen jeder Art wehrt, beteuert
    er, daß er nur danach strebe, die menschliche Gattung von Schuldgefühlen zu befreien. Er hasse, ja verabscheue alles, was der Gesellschaft schade. Der Philosoph muß formulieren: Die
    Tugend ist nichts als eine willkürliche Konvention. Die aber will er, auch wenn er sie nicht absolut gelten läßt, doch achten.
    Genau so wie er nichts tut oder tun will, was ihm Schuldgefühle verursacht, obwohl er erkennt, daß Schuldgefühle nur ein Produkt der Erziehung sind. Er ist ein Moralist der höheren Art. Die Ketten der Vorurteile und Schuldgefühle zerbrechen: Das ist sein unerschöpfliches Motiv. Sein Ziel: die Glückseligkeit
    der ganzen Menschheit. Daß er, wie kühn er auch wird,
    immer sich, seine Erfahrung und Empfindung, seinen amour‐
    propre anruft zur Bestätigung oder Widerlegung alles Gedachten, das macht seine Verläßlichkeit aus. Im Beiläu-figsten wie im Anspruchvollsten. Wenn er müde sei vom
    Denken und Schreiben und sich ganz leer fühle, lese er
    Montaigne und empfinde dann dessen Geschriebenes wie

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    eine leichte Brise, die über die äußeren Fasern des Kopfes streicht und so auf die inneren des Gehirns wirkt und dem überanstrengten Gehirn die Schwere mildert. Und merkt
    dazu an: Die gleiche Wirkung hat auch ein Guß kalten Wassers: Das durch die Anspannung gestaute Blut kann wieder frei zirkulieren. Pfarrer

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