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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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unterschieden, nicht mehr einer des
    anderen Besorger wäre, ein Gemeinsamkeitsgenuß eben.
    Gottlieb fand, daß er, wenn er so dachte, ihren für ihn tätigen
    Mund schon in einer verheißungsreichen Art erlebte.
    Irgendetwas mußte er ja denken, wenn sie sich so heftig mit
    ihm beschäftigte. Warum dann nicht etwas Schönes,
    Zukünftiges. Nachher beim Essen konnte er das ja zur
    Sprache bringen. Dann also die Vollendung, die wirkliche
    Kommunion, er würde es nachher Ausschüttung nennen.
    Schließlich war er auch ein Geschäftsmann. Und Aus‐
    schüttung ist ein Wort für geglückt Ergebnishaftes. So dachte
    er sich über den Höhepunkt hinweg. An der religiösen
    Sprachanleihe wollte er sich nicht beteiligen. Das bringt nichts. Dachte er. Ausschüttung. Basta.
    Als sie merkte, daß er Mühe hatte, so hoch zu fliegen, wie
    sie flog, sagte sie: Bei einer Gefangenenbefreiung bestimmt der Befreier, was geschieht. Und als er nichts sagte, sagte sie
    noch: Auch wenn der Befreier eine Befreierin ist.
    Er hätte beinahe wieder Danke gesagt. Aber er konnte nicht
    schon wieder Danke sagen. Also zog er sie heftig zu sich herauf, preßte, drückte und küßte sie, als sei er außer sich.
    Erst jetzt. Als begriffe er erst jetzt, was sie für ihn getan hatte.
    Sie hatte ES geschluckt. Sie schmeckte noch danach. Ja, da muß man doch außer sich sein. Wo denn sonst? In ihr, bitte.

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    Dann sagte sie: In der letzten halben Stunde seien die
    Jahreszahlen überhaupt nicht mehr spürbar gewesen. Und
    als er nicht wußte, wie er darauf reagieren sollte, sagte sie: Das war jetzt frech, gell. Um sie vor weiterem Übermut zu bewahren, küßte er sie. Das konnte falsch sein. Dann fing er
    einfach von Rosa an. Die älteste Tochter, bald zehn Jahre älter als Beate, ja. Wieso jetzt Rosa, sagte Beate. Er habe gerade an sie denken müssen, sagte er, weil sie auch eine Abtreibung hinter sich habe. Das zog. Das wollte sie genauer
    wissen. Zuerst als komische Eröffnung: Max Stöckl, Kamera,
    Regie, Urbayer beziehungsweise ‐viech. Wenn der da war
    und Gottlieb ging früher ins Bett und bat Rosa, daß sie nicht
    vergessen solle, nachher die Lichter zu löschen, sprang der auf, tanzte auf der Terrasse herum und brüllte: Genau wia mei Oidda. Auf jeden Versuch, anderer Meinung zu sein als
    er, lief Bayerisch ab. Sie senga jo dees net vu Ehnarem hiesigen Standpunkt aus, naa, wirkli, gengas zua, lossns
    Ehna des song, di Rosa, des Madl is zʹschood firs Studiern.
    Dann war sie schwanger, er benimmt sich so, daß Schluß
    sein muß, Rosa treibt ab, tritt über, studiert, heimlich, Theologie, meldet sich eines Tages als fertige Theologin, heiratet einen Pastor, ist Pastorin, beide in Ingolstadt, er schlägt sie manchmal, dafür verlangt er aber jedes Mal, daß
    sie ihn bestrafe. Daß der Pastor seine Rosa gelegentlich schlägt, kann Gottlieb ertragen, es sind eher Ringkämpfe als
    Schlägereien, und Rosa ist dem dünnen Pastor durchaus
    gewachsen, aber daß der, wenn er am Familientisch sitzt, nur
    mit vollem, nein, mit vollstem Mund spricht, breitestes
    Fränkisch, und Rosa bemerkt es nicht, das läßt Gottlieb
    manchmal einfach aufspringen und hinausrennen. Gottlieb

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    kann Rosa von seinen Töchtern für die Versorgteste halten.
    Da muß man fränkisches Mampfen eben in Kauf nehmen.
    Rosa muß ja nicht ihren Mann ernähren, wie Julia, wie
    Regina. Daß auch Anna ihren Mann ernähren muß, ver‐
    schwieg er. Julia, Regina, Anna. Frauen für Männer, die
    Unterschlupf suchen. Beate war, zum Glück, eingeschlafen,
    er konnte aufhören.

    3.

    Jetzt wisse er, warum sie so zu schleppen hatte, sagte er, als
    sie den voluminösen Webster aus ihrem Gepäck hob. Drei
    Tage lang bot sie Webster‐Wörter an, er sollte wählen. Und wies hin auf die Schwächen ihrer englischen Sätze, die ihren
    Grund hätten in den deutschen Sätzen. Immer wenn die
    deutschen Sätze mehr wollten, als sie könnten, und dies auch
    ausdrückten, also gestünden, daß sie mehr ausdrücken
    wollten, als sie könnten, immer dann sei dieses Mehrwollen
    als Können im Englischen nicht mehr spürbar.
    Rise to the occasion, das, hoffe sie, sei ihr gelungen. Sein Entsprechen ist alles geht im Englischen nur in der Be-fehlsform. Sprechen kommt nicht mehr vor, das zeigt schon,
    welche Sprachkörperlichkeiten beim Übersetzen verschwin‐
    den. Aber sie gibt noch nicht auf. Drei Tage lang wird sie jetzt mit ihm Sprachrettung treiben. Daß sie die
    Sprachrettung betreibt, um ihn

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