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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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zu retten, nicht nur hier, jetzt, sondern überhaupt, das müsse er, um den Grad ihres
    Dabeiseins zu begreifen, wissen. Er werde es schon noch
    merken. Also, los jetzt.

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    Wie soll sie denn das, bitte, übersetzen: Shakespearisierend kannst du dir in deinen Träumen vorkommen} Oder, wenn der Gefangene erwacht: Der Sturz des Gefangenen in sein Zeug} Ist das Heidegger oder was? Zum Glück hat sie im letzten
    Sommer diesen Kurs Deutsch für Philosophen gegeben, sonst wäre sie noch ratloser gewesen. Als sie dem Professor
    andeutete, daß die Übersetzung kein Spaziergang sei, habe der geraten, Rick Hardy zuzuziehen. Das sei geschehen. Der
    habe gegrinst wie die Sphinx persönlich. Dann habe er
    gesagt, da er ja in Berkeley die Veranstaltung mit Mr. Krall zu moderieren habe, werde er sich jetzt nur zu den Fragen, die Übersetzung betreffend, äußern. Das habe er getan. Sie müsse zugeben, ihr sei, was er dazu zu sagen gehabt habe, nichts als hilfreich gewesen. Intelligent sei der. Manchmal fast zum Fürchten intelligent. Erfahrungsgesättigte Kenntlichkeit hätte sie ohne Rick kaum geschafft. Vor allem hat er für alle deutschen und französischen La Mettrie‐Stellen die in Amerika vorliegenden englischen Übersetzungen beigebracht. Und dann auch noch die Manfred Eigen‐Sätze! Die
    gibtʹs natürlich auch schon auf Englisch. Und Rick schaffte sie her.
    Gottlieb genoß es, daß er nicht leicht zu übersetzen war. Er
    vermutete allerdings, daß Beate J. (so wollte sie mindestens genannt werden) zu vorsichtig, zu bedenkensüchtig sei. Aber
    seine Versuche, sie bedenkenloser zu stimmen, blieben
    erfolglos. Er würde dort stehen, Berkeley, Dwinelle Hall, Hörsaal soundsoviel, und vor ihm säßen einhundertsiebzig
    Zuhörer, darunter Professor Glen O. Rosenne, Patricia Best, Rick Hardy und dann noch die notorischen Berkeley‐Intellektuellen, sophisticated bis Zum Gehtnichtmehr. Sie wollte 151
    ihm Angst machen und ihn so zwingen, das Übersetzen
    nicht nur als einen Spaß Zu erleben, sondern als ein Spiel um
    alles oder nichts. Er solle sich doch vorstellen, wie er da stünde, wenn er erlebte, daß er an denen vorbeiredete, über
    die hinweg! Also sie habe vor jedem Referat Angst. Deshalb
    rackere sie sich dann so ab, daß das Schlimmste jedesmal gerade noch vermieden worden sei. Sie wollte nicht
    begreifen, daß für Gottlieb nicht soviel auf dem Spiel stehe.
    Er war Amateur. Er spielte in einer anderen Liga. Er hat La
    Mettrie dargestellt, wie er ihn erlebt hat, und er hat La Mettries Wichtigstes, sich selbst aufʹs Papier zu bringen, wichtig genommen. Und das ist geworden: Der Gefangene
    wird sich durch La Mettrie seines Gefangenseins bewußt und
    fliegt nach Kalifornien, um dort Zeugnis abzulegen für eine Wirkung La Mettries, die diesen Philosophen mehr ehrt und
    erklärt als alle Wissenschaftelei. Und sie: Wenn er das in der
    Diskussion nach seinem Referat sage, riskiere er, daß das Auditorium ihn auspfeife. Einmal abgesehen davon, daß sie
    als seine Dolmetscherin sich unfähig fühle, Wissenschaftelei englisch auszudrücken. Das allerdings wäre ein Glück, denn
    er spräche ja zu Wissenschaftlern und solchen, die es werden
    wollten.
    Er hatte vorgeschlagen, einen der drei Tage am Meer zu
    verbringen. Sie lehnte das ab. Mit jedem Wort, für das sie eine erlebbare englische Entsprechung fänden, werde es den
    hiesigen Highbrows schwerer gemacht, den Amateur aus
    Germany zu belächeln oder gar zu beschimpfen. Letzteres
    glaube sie allerdings nicht. Ein Campus sei ja kein Bierzelt.
    Aber sie habe eben diesen Gast vorgeschlagen, also wäre sein

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    Nichterfolg ihr Mißerfolg. Also kein Tag am Meer, sondern ein Ringen um jedes Wort, jede Nuance.
    Diese Beate J. war viel stärker, als er geahnt hatte. Ihre Angstbereitschaft war Stärke. Ihr Ernst, ihr Genauigkeits-wille, ihre Niezufriedenheit, ihre Vollkommenheitsvorstel‐
    lungen, alles nichts als Stärke. Sobald wieder ein Ausdruck gelungen war, jubelte sie. Wenn das nur nie aufhörte, konnte
    sie dann sagen. Immer so weiter. Immer und ewig mit dir um Wörter ringen, Bedeutungen retten, Nuancen leuchten
    lassen.
    Dann die Sprechproben. Er mußte seine Mund‐, seine
    Gesichtsnerven und seine Seele mit diesen englischen Sätzen
    so vertraut machen, daß er jede gleich zu produzierende
    Tonnuance schon im voraus wußte, einen Sekunden‐
    bruchteil, bevor dieser Ton fällig war. Alles wie von selbst: So sollte Englisch aus ihm kommen. Intonation! Und

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