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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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oder gar faul sei. Dann wäre ja alles einfach. Aber er
    lese und schreibe eben ununterbrochen, sage allerdings, es habe keinen Sinn, sein Geschriebenes jetzt anzubieten, da es
    so viel besser sei als all der Mist, der zur Zeit die Szene be‐
    herrsche, daß das Seine mit keinerlei Verständnis rechnen könne. Noch nicht! Wann, das wisse allein Gott, und den gebe es bekanntlich nicht. Da in Julia die Botschaft einge-brannt war, Iren seien genial, glaubt sie, hofft sie, hebt sie und erklärt weiterhin das Reichstagsufer und lernt jetzt
    nebenher Japanisch. Sie will es so weit bringen, japanischen
    Reisegruppen Berlin in deren Muttersprache zu erklären.
    Das gäbe einige Euro mehr.
    Beate, die vielleicht nicht mehr zugehört, auf jeden Fall spürbar von ihm abgelassen hatte, sagte: Wir müssen gehen.
    Oh ja, sagte er und sprang auf und zog sie hoch und war fast
    froh darüber, daß es ihm nicht gelungen war, sie für Julia zu
    interessieren.

    4.

    Durch San Francisco, über die Bay Bridge, hinüber nach
    Berkeley. Gottlieb wußte, daß er nicht wichtig war. Andererseits: Warum bauen sie Städte, die nichts demonstrieren als deine Unwichtigkeit. Diese Bankmonsterflanken, die
    spiegelnden, und spiegeln doch nichts als ihresgleichen.
    Dann diese lächerliche Pseudovertrautheit mit all dem,

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    hundertmal im Film gesehen. Der farbige Taxifahrer machte
    klar, daß das auch ein Dschungel ist, in dem Menschen zu unliebsamen Wesen gedrillt werden. Hotel Durant hatte Beate J. geordert. Der reagierte gereizt. Berkeley, was ist denn das
    wieder für ein Scheißhotel, können Sie nicht in was
    Besserem, also Bekannterem absteigen, wahrscheinlich keine
    Knete, und so was muß ich kutschieren, an mir bleibtʹs
    hängen, Hotel Durant, oh boy. So etwa reagierte der. Gottlieb nahm sich vor, ihn nachher durch ein Trinkgeld zu
    beschämen. Der nahm das Trinkgeld ganzungerührt. Beate J.
    schimpfte.
    Im Durant hatten sie zwei Zimmer. Und die auf zwei verschiedenen Etagen. Als sie sich eintrugen, zeigte Gottlieb
    ihr, was er als Beruf angab: Privatgelehrter. Ach, Herr Krall,
    sagte sie. Probeweise. Alle, die einem jetzt begegneten,
    konnten La Mettrie‐Referenten sein. Das hieß: Ab sofort
    striktes per Sie. Zum Glück hatten sich Rosenne, Patricia Best
    und Rick Hardy bei Freunden untergebracht. Mit denen
    frühstücken! Lieber nicht. Sie fürchtete sich ohnehin vor dem
    Augenblick, in dem sie Gottlieb Patricia Best vorstellen
    mußte. Sie würde rot werden, Patricia sähe, spürte sofort, was zwischen ihr und Gottlieb passiert war.
    In der Eingangshalle von Dwinelle Hall wartete schon Rick
    Hardy. Beate J. stellte die Herren einander vor. Patricia war
    zum Glück schon im Saal. Gottlieb war darauf vorbereitet, daß dieser Hardy beim Händedruck alles gibt, was er hat.
    Dachte der Drücker jetzt daran, daß er einmal Beates Hals im
    Griff gehalten hatte? Beate hatte berichtet, von den Herren hege keiner auch nur den leisesten Verdacht, sie könne
    Herrn Krall aus anderen als wissenschaftlichen Gründen für

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    ein Referat vorgeschlagen haben. Davor schütze sie, ihn und
    sie, schon der Altersunterschied.
    So raste es in Gottliebs Kopf, als er die von Rick Hardy gequetschte Hand demonstrativ besah und murmelte:
    Nothing broken, so far. Das wurde beifällig aufgenommen.
    Dann sah er dem Quetscher ins Gesicht. Eine eisige Freund‐
    lichkeit, der es nicht darauf ankam, glaubwürdig zu sein.
    Gottlieb spürte, daß ihm eine Gänsehaut rückenabwärts
    wanderte. Rick Hardy, das war ein Totenkopf. Augenhöhlen,
    tief drin, große Augen, eingefallene Wangen und ein ebenes
    Lächeln um einen eher unsichtbaren Mund. So würde einem
    der Tod die Hand geben. Um zu demonstrieren, daß man
    von jetzt an in seiner Hand sei.
    Also, wie lange wird Mr. Krall vortragen? Nicht über
    dreißig Minuten. Sehr gut. Dann die Diskussion. Kann Mr.
    Krall die in Englisch bestreiten? Er will es versuchen und hofft, falls er einen Diskussionsbeitrag nicht zur Gänze
    versteht, auf Beate Gutbrods Hilfe. Die wird ihm zugesagt.
    Und, ergänzte Mr. Hardy, Beate sei ja jetzt sowohl eine La Mettrie‐ wie auch eine Krall‐Spezialistin.
    Daß der mit keinem Laut verriet, wie er den Vortrag finde,
    beunruhigte Gottlieb jetzt doch. Unglaublich, du erarbeitest einen Vortrag, fliegst um die halbe Welt, und dieser
    Unischnösel tut so, als komme da einer aus der Nachbar‐
    schaft und lese zum hundertsten Mal vor, was ihm gerade zu
    La Mettrie eingefallen ist.

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