Der Augenblick der Liebe
oder gar faul sei. Dann wäre ja alles einfach. Aber er
lese und schreibe eben ununterbrochen, sage allerdings, es habe keinen Sinn, sein Geschriebenes jetzt anzubieten, da es
so viel besser sei als all der Mist, der zur Zeit die Szene be‐
herrsche, daß das Seine mit keinerlei Verständnis rechnen könne. Noch nicht! Wann, das wisse allein Gott, und den gebe es bekanntlich nicht. Da in Julia die Botschaft einge-brannt war, Iren seien genial, glaubt sie, hofft sie, hebt sie und erklärt weiterhin das Reichstagsufer und lernt jetzt
nebenher Japanisch. Sie will es so weit bringen, japanischen
Reisegruppen Berlin in deren Muttersprache zu erklären.
Das gäbe einige Euro mehr.
Beate, die vielleicht nicht mehr zugehört, auf jeden Fall spürbar von ihm abgelassen hatte, sagte: Wir müssen gehen.
Oh ja, sagte er und sprang auf und zog sie hoch und war fast
froh darüber, daß es ihm nicht gelungen war, sie für Julia zu
interessieren.
4.
Durch San Francisco, über die Bay Bridge, hinüber nach
Berkeley. Gottlieb wußte, daß er nicht wichtig war. Andererseits: Warum bauen sie Städte, die nichts demonstrieren als deine Unwichtigkeit. Diese Bankmonsterflanken, die
spiegelnden, und spiegeln doch nichts als ihresgleichen.
Dann diese lächerliche Pseudovertrautheit mit all dem,
156
hundertmal im Film gesehen. Der farbige Taxifahrer machte
klar, daß das auch ein Dschungel ist, in dem Menschen zu unliebsamen Wesen gedrillt werden. Hotel Durant hatte Beate J. geordert. Der reagierte gereizt. Berkeley, was ist denn das
wieder für ein Scheißhotel, können Sie nicht in was
Besserem, also Bekannterem absteigen, wahrscheinlich keine
Knete, und so was muß ich kutschieren, an mir bleibtʹs
hängen, Hotel Durant, oh boy. So etwa reagierte der. Gottlieb nahm sich vor, ihn nachher durch ein Trinkgeld zu
beschämen. Der nahm das Trinkgeld ganzungerührt. Beate J.
schimpfte.
Im Durant hatten sie zwei Zimmer. Und die auf zwei verschiedenen Etagen. Als sie sich eintrugen, zeigte Gottlieb
ihr, was er als Beruf angab: Privatgelehrter. Ach, Herr Krall,
sagte sie. Probeweise. Alle, die einem jetzt begegneten,
konnten La Mettrie‐Referenten sein. Das hieß: Ab sofort
striktes per Sie. Zum Glück hatten sich Rosenne, Patricia Best
und Rick Hardy bei Freunden untergebracht. Mit denen
frühstücken! Lieber nicht. Sie fürchtete sich ohnehin vor dem
Augenblick, in dem sie Gottlieb Patricia Best vorstellen
mußte. Sie würde rot werden, Patricia sähe, spürte sofort, was zwischen ihr und Gottlieb passiert war.
In der Eingangshalle von Dwinelle Hall wartete schon Rick
Hardy. Beate J. stellte die Herren einander vor. Patricia war
zum Glück schon im Saal. Gottlieb war darauf vorbereitet, daß dieser Hardy beim Händedruck alles gibt, was er hat.
Dachte der Drücker jetzt daran, daß er einmal Beates Hals im
Griff gehalten hatte? Beate hatte berichtet, von den Herren hege keiner auch nur den leisesten Verdacht, sie könne
Herrn Krall aus anderen als wissenschaftlichen Gründen für
157
ein Referat vorgeschlagen haben. Davor schütze sie, ihn und
sie, schon der Altersunterschied.
So raste es in Gottliebs Kopf, als er die von Rick Hardy gequetschte Hand demonstrativ besah und murmelte:
Nothing broken, so far. Das wurde beifällig aufgenommen.
Dann sah er dem Quetscher ins Gesicht. Eine eisige Freund‐
lichkeit, der es nicht darauf ankam, glaubwürdig zu sein.
Gottlieb spürte, daß ihm eine Gänsehaut rückenabwärts
wanderte. Rick Hardy, das war ein Totenkopf. Augenhöhlen,
tief drin, große Augen, eingefallene Wangen und ein ebenes
Lächeln um einen eher unsichtbaren Mund. So würde einem
der Tod die Hand geben. Um zu demonstrieren, daß man
von jetzt an in seiner Hand sei.
Also, wie lange wird Mr. Krall vortragen? Nicht über
dreißig Minuten. Sehr gut. Dann die Diskussion. Kann Mr.
Krall die in Englisch bestreiten? Er will es versuchen und hofft, falls er einen Diskussionsbeitrag nicht zur Gänze
versteht, auf Beate Gutbrods Hilfe. Die wird ihm zugesagt.
Und, ergänzte Mr. Hardy, Beate sei ja jetzt sowohl eine La Mettrie‐ wie auch eine Krall‐Spezialistin.
Daß der mit keinem Laut verriet, wie er den Vortrag finde,
beunruhigte Gottlieb jetzt doch. Unglaublich, du erarbeitest einen Vortrag, fliegst um die halbe Welt, und dieser
Unischnösel tut so, als komme da einer aus der Nachbar‐
schaft und lese zum hundertsten Mal vor, was ihm gerade zu
La Mettrie eingefallen ist.
Weitere Kostenlose Bücher