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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Dieses kreischende Außersichsein
    blieb ihm fremd. Jetzt war sie also auch ein Fan gewesen. Er
    hatte das Gefühl, er müsse sie zurückküssen. Beim Küssen gewann er wieder Präsenz, das spürte er. Ihre Münder
    gingen in einander auf. Wie für immer. Es gab wirklich
    keinen Grund, das je zu beenden. Das waren auch schon
    längst keine zwei Münder mehr. Das war ein Drittes. Ein bei
    keinem von beiden so Vorkommendes. Das waren sie, beide,
    als Einzahl. Als ein Einziges. Aber da es noch andere Körper‐
    teile gab, die drankommen wollten, lagen sie dann doch im Bett. Da wollte er alles richtig machen. Je mehr sie davon haben würde, desto mehr hatte er davon. Er hielt es sogar für
    möglich, daß sie auch so dachte. Das hätte er als eine Minderung des Möglichen empfunden. Sie sollte nichts sein
    als eine, der es gut ging. Sie sollte nur sich empfinden.
    Natürlich durch ihn. Er mußte ihr möglichst unaufwendig
    verwehren, daß sie sich gleich mit dem Mund seiner be‐
    mächtige. So nah waren die Leiber einander noch nicht. Sie führte. Das konnte ihm nicht recht sein. Er übernahm. Wenn
    sie führte, lagen sie in zehn Minuten neben einander wie zwei abgebrannte Feuerwerkskörper. Das kann doch nicht
    der Sinn dieser quälend langsamen Annäherung gewesen
    sein. Sollten sie nicht zuerst einen Wörterabtausch durch-spielen? Wie heißt bei dir das, wie nennst du das? Sie waren
    doch Sprachmenschen. Und schon der erste Versuch glückte.

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    Er nannte, was er zur Verfügung stellte, Ding und fragte, wie
    sie sein Ding nenne. Und sie: Ding an sich. Schließlich seien
    sie Philosophen. Und dann genießerisch weiter: Du weißt,
    wie Schopenhauer, bekanntlich kein Kant‐Fan, das Ding an
    sich nennt? Gottlieb wußte es nicht. Sie streichelte ihn und sagte: Amateurliga muß das nicht wissen, geträumtes Unding, so Schopenhauer zum Ding an sich. Gottlieb: Das
    nehmen wir. Sie wechselte jäh in die Aktivsprache: This is no
    time for talk, itʹs time for Performance. Letʹs have it in English. Und als wären sie im Studio und sie die Regisseurin,
    rief sie: Action! Ihm gelang es trotzdem, den bloßen Aktio-nismus zu steuern. Als es dann so weit war oder als sie beide
    gleich so weit sein würden, fühlte er sich vorbereitet, den ersten Wortbeitrag auf Englisch zu liefern, und zwar mit einem Zitat aus ihrem Briefwerk, und das war jetzt, da das Gelingen ja schon begonnen hatte, eher eine Floskel fröhlicher Ironie: It ainʹt over till the fat lady sings. Sie schrie auf, fuhr hoch, warf sich weg von ihm, riß, was sie an Decke kriegen konnte, über sich. In ihr wurde offenbar weder die opera noch die Briefstelle wach, sie war bestürzt, getroffen, beleidigt, because of the fat lady. Sie fühlt sich fat. Und dann sagt erʹs ihr auch noch in diesem Augenblick ins Gesicht. In
    dem Augenblick, dem sie seit Monaten entgegenlebt. Und
    selbst wenn ER das nicht so gemeint hat, ES war so gemeint.
    E S hat es so gemeint. Ein Freudian slip.
    Gottlieb eilte zur Minibar, holte sämtliche verfügbaren
    Martinis und flößte ihr ein, soviel sie bereit war, sich einflößen zu lassen. Und entschuldigte sich ernsthaft. Eins wisse
    er sicher: Wenn er sie für fat hielte oder wenn sie ihm so vor‐
    käme, wäre ein Zitat, das dieses Wort mit sich führte, nie nie

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    nie über seine Lippen gekommen. Aber als er sich das so sagen hörte, merkte er, daß es nicht ganz so war, wie er das
    sagte. Aber es war auch nicht so, wie sie das gesagt hatte.
    Also küßte er innig drauflos, spielte Themire und Sylvandre
    mit ihr, bis sie so weit waren, das vorher Begonnene
    fortzusetzen und zu einem glücklichen Ende zu bringen.
    Dann lagen sie aneinandergeschmiegt und flüsterten ihr
    Schicksal ins grünliche Zwielicht dieses alles ermög‐
    lichenden Zimmers. Er flüsterte, er habe, als er drunten in der Lounge die Minuten bis zu ihrer Ankunft gezählt habe, zum geträumten Unding gesagt − nebenbei, er halte das für
    eine brauchbare Startbezeichnung, das heißt, von da aus
    gehe es weiter zu immer besseren, das heißt brauchbareren Wörtern −, da habe er also, hingefläzt im Loungesessel,
    seinem ungeduldigen Unding gesagt: Heute noch wirst du
    im Paradiese sein. Und jetzt könne er im Namen seines
    Undings melden, daß ihm nicht zuviel versprochen worden
    war. Sie flüsterte zurück: Sag noch was Schönes, Sylvandre.
    Er: Danke, Themire. Sie: Ist Danke was Schönes? Und als ihm
    nicht gleich eine Antwort einfiel, sagte sie, und das sollte

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