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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gekauft hatte: Chanel Nr. 5. Dazu grinste er, damit sie sehe, daß er einen früheren
    Gottlieb imitiere, auch ein bißchen parodiere. Aber dann
    mußte er doch noch sagen: Ich liebe dich wieder einmal wie
    noch nie.
    Die Fahrt in der Frühlingssonne empfand er als einen
    theatralischen, das heißt übertriebenen, das heißt sich ver-selbständigenden Ausdruck einer Gemeinsamkeit. Fraglos
    einig. Aber Anna störte noch einmal. Mitten in die Musik, von der er sich jetzt ausgefüllt und bewegt fühlte, mußte sie
    die neuesten Kindernachrichten bekanntgeben. Gestern habe
    Julia angerufen. Mit der leblosen Stimme. Die Mutter sollte leiden unter dieser leblosen Stimme. Sie sollte nachfragen: Julia, was ist los, was fehlt dir. Das habe sie getan. Und Julia: Sie weiß nicht, wer sie ist. Mehr nicht. Schweigen. Aufgelegt.
    Gottlieb steuerte bei: Als das letzte Mal alle dagewesen waren, hatte Julia ihn zum Essen gerufen, er war gekommen,
    Regina fehlte noch, also hatte er gesagt: Du hast eine schöne
    Stimme, ruf Regina zum Essen. Da sie sich weigerte, rief er,
    Julia imitierend, Regina zum Essen. Regina kam, Julia ging.

    205
    In ihr Zimmer. Am Essen nahm sie nicht teil. Als sie an ihm
    vorbeigegangen war, hatte sie gesagt: Kabarettist. Ja, sagte Anna und übernahm. Am letzten Sonntag, unsere
    Erlangerin. Zwei Tage davor ein Brief, ein echter Magda‐
    Brief, du mußt ihn lesen. Dann steht sie vor der Tür, bleibt eine kurze Nacht. Redet nicht viel. Du kennst sie ja. Inhalt: Sie habe zum Glück, seit sie aus der Schule sei, kein Glück mehr gehabt. Also auch keine Enttäuschung mehr. Ihre
    Arbeit sei zum Glück so spannend, daß sie nicht dazu
    komme, irgend etwas zu vermissen. Die Mehrwertsteuerent‐
    wicklung sei ein einziges Abenteuer. Und daran mitzuwir‐
    ken, erlebe sie als Privileg. Und zweimal pro Woche im Chor
    zu singen sei Levitation pur. Sie habe den Chor gewechselt.
    Nicht mehr im Matthäus‐Chor, sondern im Altstädter. Von
    ihrem Schwarzen nichts. Und Regina, sagte Anna. Gottlieb
    mußte also fragen: Ja. Was ist mit Regina? Jetzt bleibt mir nur
    noch der Zirkus selbst, habe Regina gesagt. Sie trainiere, weil
    die Agentur andauernd am Kippen war und jetzt gekippt ist,
    seit zwei Jahren eine Nummer. Mit einem Chinesen. Regina
    an einem aufrecht stehenden Sarg, der Chinese wirft, als Indianer kostümiert, mit verbundenen Augen siebenund-zwanzig Messer auf Regina. Sie ist, daß sie nicht hin und her
    zucken kann, an den Sarg gefesselt. Sie singt eine Melodie, eine in dreizehn Tönen aufsteigende, auf einem Höhepunkt
    ankommende und dann in dreizehn Tönen absteigende
    Melodie, Vorbild: der Sterbegesang der Apachen. Der India‐
    ner‐Chinese wirft die Messer Ton für Ton, er wirft also nach
    dem Gehör.
    Unglaublich, sagte Gottlieb.
    Und Anna: Stimmt.

    206
    Die Szene erinnerte Gottlieb an die Rattler‐Folterung in
    Winnetou I und daran, daß er der immerzu mit Mandelent‐
    zündungen bettlägerigen Regina am liebsten Karl May vor‐
    gelesen hatte. Wie hatten die drüben Eliot zitiert? Great poets steal, bad poets copy.
    Und Rosa, sagte Gottlieb. Von Rosa nichts. Das hatte er nicht anders erwartet, aber eine Art Schmerz war dieses
    VonRosanichts doch. Er hatte sich angewöhnt, sie in einem unaufhörlichen Sibirien zu sehen. Ach ja, sagte Anna, Paul Schatz ist tot. Wie bitte, du meinst, seine Frau sei ... Nein. Der Frau geht es überraschend gut, aber er steht morgens auf, fällt um, ist tot. Infarkt. Und vorher nichts, was darauf hinwies. Gottlieb sagte: Unglaublich. Und dachte: Wenn es den Kaltammer auch noch putzt, dann geh ich zurück in den
    Handel. Aber den Kaltammer putzt es nicht. Solche Hyänen
    werden hundert. Paul Schatz steht auf, fällt um, ist tot. Und
    Beate hatte gesagt: Wenn du mal morgens aufstehst und tot
    umfällst, wissen wir, daß Anna aufgehört hat, an dich zu denken. Wunderbare Beate. Gab es überhaupt etwas, das
    nicht wunderbar war?
    Gottlieb merkte, daß er plötzlich im Stand war, die Autobahn zu genießen. Und plötzlich bog er auf einen Parkplatz
    ein, war an Annas Tür, bevor sie sie öffnen konnte, bat sie durch eine einladende Geste heraus, dann führte er sie, als kenne er sich aus, vom Parkplatz weg in den umgebenden
    Wald und ging deutlich hastig ein bißchen voraus, daß er Anna hinter sich herziehen konnte, und dachte, solange sie nichts sagt, ist alles gut. Sie sagte nichts. Bei einem Stapel gefällter Buchen, die da auf den Abtransport warteten, hielt
    er, lehnte

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