Der Augenblick der Liebe
Landesfechtmeister, war jetzt Bademeister in Saulgau.
Aber die Zeit, in der man sich nach den Kindern erkundigen
mußte, war ohnehin vorbei. Es herrschte eine unverabredete
Übereinkunft, daß man die Kinder am besten nicht mehr
erwähne. Daß die zärtlichkeitssüchtige Labradorhündin
Wunni hatte eingeschläfert werden müssen und durch einen
einschüchternden Dobermannrüden ersetzt worden war,
hatte Anna zum Glück mitgeteilt. Der werde Dante gerufen.
Dante räkelte sich dann auch zentral im Zimmer. Er war
offenbar durchdrungen von der Gewißheit, daß alle nur ihm
zuschauten. Dem Hotelierspaar versprach Anna, sie werde
sicher bald einen Käufer finden. Da sagte Hugo dann doch noch einen Satz: Das habe Paul Schatz auch versprochen und
dann sei er gestorben. Das klang, als sei Paul Schatz
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gestorben, weil er versprochen hatte, diesem dahinküm‐
mernden Paar zu helfen. Das hieß: Wer uns helfen will, dem
passiert etwas Schlimmes, ich warne Sie. Gottlieb empfand es als eine der im Handel üblichen Demütigungen. Man war
zweite Wahl. Lissi Reinhold rief: Bitte, Hugo, nichts von, nichts über Paul Schatz. Schone uns! Und erklärte ihre
Lautstärke: Paul Schatz sei der erste Mensch, dem sie, auch nach seinem Tod, nichts Gutes nachsagen könne. Wäre sie
simpel religiös, würde sie sagen, sein jäher Tod sei eine Strafe für die fürchterliche Ausstellung seiner Zeichnungen im Mauracher Schloß. Genialer Amateur, steht dann in der Zeitung. Professionelles Schwein hätte drin stehen sollen. Sie
habe, daran müsse sie erinnern, den nebenher Bilder
malenden Immobilienkönig immer verteidigt, auch wie er
mit seinem Geld sich als Künstler inszenierte, ihr warʹs egal,
aber in diesen Zeichnungen habe er sich zum Schluß end‐
gültig entlarvt. Seine überregional demonstrierte Vielweiberei sei ihr zwar zuweilen auf die Nerven gegangen, gesagt habe sie nichts. Aber diese Ausstellung! Zeichnungen über ein einziges Motiv! Das weibliche Geschlecht! Und zwar
jedesmal in einer Ausführlichkeit, als handle es sich nicht um
einen Körperteil, sondern jedes Mal um Landschaften, und
zwar um diluvische.
Jetzt gelang Anna der erste Einwurf. Ich finde, sagte sie, er
denunziert uns nicht. Er feiert unsere Vielfalt. Sie sei erstaunt, daß Lissi den Witz nicht bemerkt habe, den Meister Schatz in diese Körperlandschaften hineingezeichnet habe.
Ihr, Anna, habe am besten gefallen das Männlein deutlich Paul Schatz persönlich, das da im weiblichen Portal stehe und dabei die weichen Partien wie eine Kapuze über sich 221
hereinziehe. Das fand Lissi überhaupt ganz fürchterlich. In Zeichnungen witzig sein zu wollen, das sei eine ästhetische Katastrophe. Dürer und Rembrandt und Beckmann zeichnen
nicht witzig. Wer die Grenze zur Karikatur überschreitet, sagt, er sei nicht ernst zu nehmen. Aber bitte, diese
Spezialisierung auf unser vielfältiges Häutewerk, das sei die
reine Altersgeilheit. Und brach richtig aus. Fand große
Namen und Bezeichungen für ihn: Chauvinistische Sau,
Schmierenpascha, altersgeiler Bock ... Bei mindestens drei Prägungen kam altersgeil vor. Das konnte Anna dem von ihr nun einmal verteidigten Paul Schatz nicht antun lassen.
Erstens, sein Berufsethos − und davon verstehe sie etwas − :
tadellos. Sein soziales Engagement: musterhaft. Bitte, in der die ganze Seite füllenden Bekanntmachung seines Todes hieß
es unten: Statt Kränze und Blumen eine Spende für
Germanaid. Mein Gott, rief sie, erinnert euch, das letzte Mal,
hier, und wir waren, bitte, alle gleichermaßen hin, als er seine Film‐Nummer aufführte, die jeder von uns schon vom
Hörensagen kannte. Wie er Filme durch Wiederanschauen
kaputtmacht, aber auch die, die schon beim ersten An‐
schauen erledigt sind, schaut er noch einmal an und windet
sich vor Ekel, Verachtung und Langeweile. Und stieß hier vor uns noch einmal die Laute aus, die er ausstieß, um einen
miesen Film durch Wiederanschauen hinzurichten. Er habe
das Gefühl, der Film verblute dann vor ihm, er höre den Film
stöhnen, um Gnade betteln. Geh doch weg, keuche der Film,
mach die Augen zu, bitte, bitte. Und genau das wolle er hören, rief Paul Schatz, das würde dir so passen, rufe er dann, angeschaut wirst du, angeschaut bis zur letzten
Sekunde, du kleiner, billiger, schmieriger Drecksfilm, du, du
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bist nämlich das Geilste überhaupt! Lissi Reinhold schrie das
so heraus, daß eine Sekunde lang die Sopranistin wieder
hörbar
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