Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Landesfechtmeister, war jetzt Bademeister in Saulgau.
    Aber die Zeit, in der man sich nach den Kindern erkundigen
    mußte, war ohnehin vorbei. Es herrschte eine unverabredete
    Übereinkunft, daß man die Kinder am besten nicht mehr
    erwähne. Daß die zärtlichkeitssüchtige Labradorhündin
    Wunni hatte eingeschläfert werden müssen und durch einen
    einschüchternden Dobermannrüden ersetzt worden war,
    hatte Anna zum Glück mitgeteilt. Der werde Dante gerufen.
    Dante räkelte sich dann auch zentral im Zimmer. Er war
    offenbar durchdrungen von der Gewißheit, daß alle nur ihm
    zuschauten. Dem Hotelierspaar versprach Anna, sie werde
    sicher bald einen Käufer finden. Da sagte Hugo dann doch noch einen Satz: Das habe Paul Schatz auch versprochen und
    dann sei er gestorben. Das klang, als sei Paul Schatz

    220
    gestorben, weil er versprochen hatte, diesem dahinküm‐
    mernden Paar zu helfen. Das hieß: Wer uns helfen will, dem
    passiert etwas Schlimmes, ich warne Sie. Gottlieb empfand es als eine der im Handel üblichen Demütigungen. Man war
    zweite Wahl. Lissi Reinhold rief: Bitte, Hugo, nichts von, nichts über Paul Schatz. Schone uns! Und erklärte ihre
    Lautstärke: Paul Schatz sei der erste Mensch, dem sie, auch nach seinem Tod, nichts Gutes nachsagen könne. Wäre sie
    simpel religiös, würde sie sagen, sein jäher Tod sei eine Strafe für die fürchterliche Ausstellung seiner Zeichnungen im Mauracher Schloß. Genialer Amateur, steht dann in der Zeitung. Professionelles Schwein hätte drin stehen sollen. Sie
    habe, daran müsse sie erinnern, den nebenher Bilder
    malenden Immobilienkönig immer verteidigt, auch wie er
    mit seinem Geld sich als Künstler inszenierte, ihr warʹs egal,
    aber in diesen Zeichnungen habe er sich zum Schluß end‐
    gültig entlarvt. Seine überregional demonstrierte Vielweiberei sei ihr zwar zuweilen auf die Nerven gegangen, gesagt habe sie nichts. Aber diese Ausstellung! Zeichnungen über ein einziges Motiv! Das weibliche Geschlecht! Und zwar
    jedesmal in einer Ausführlichkeit, als handle es sich nicht um
    einen Körperteil, sondern jedes Mal um Landschaften, und
    zwar um diluvische.
    Jetzt gelang Anna der erste Einwurf. Ich finde, sagte sie, er
    denunziert uns nicht. Er feiert unsere Vielfalt. Sie sei erstaunt, daß Lissi den Witz nicht bemerkt habe, den Meister Schatz in diese Körperlandschaften hineingezeichnet habe.
    Ihr, Anna, habe am besten gefallen das Männlein deutlich Paul Schatz persönlich, das da im weiblichen Portal stehe und dabei die weichen Partien wie eine Kapuze über sich 221
    hereinziehe. Das fand Lissi überhaupt ganz fürchterlich. In Zeichnungen witzig sein zu wollen, das sei eine ästhetische Katastrophe. Dürer und Rembrandt und Beckmann zeichnen
    nicht witzig. Wer die Grenze zur Karikatur überschreitet, sagt, er sei nicht ernst zu nehmen. Aber bitte, diese
    Spezialisierung auf unser vielfältiges Häutewerk, das sei die
    reine Altersgeilheit. Und brach richtig aus. Fand große
    Namen und Bezeichungen für ihn: Chauvinistische Sau,
    Schmierenpascha, altersgeiler Bock ... Bei mindestens drei Prägungen kam altersgeil vor. Das konnte Anna dem von ihr nun einmal verteidigten Paul Schatz nicht antun lassen.
    Erstens, sein Berufsethos − und davon verstehe sie etwas − :
    tadellos. Sein soziales Engagement: musterhaft. Bitte, in der die ganze Seite füllenden Bekanntmachung seines Todes hieß
    es unten: Statt Kränze und Blumen eine Spende für
    Germanaid. Mein Gott, rief sie, erinnert euch, das letzte Mal,
    hier, und wir waren, bitte, alle gleichermaßen hin, als er seine Film‐Nummer aufführte, die jeder von uns schon vom
    Hörensagen kannte. Wie er Filme durch Wiederanschauen
    kaputtmacht, aber auch die, die schon beim ersten An‐
    schauen erledigt sind, schaut er noch einmal an und windet
    sich vor Ekel, Verachtung und Langeweile. Und stieß hier vor uns noch einmal die Laute aus, die er ausstieß, um einen
    miesen Film durch Wiederanschauen hinzurichten. Er habe
    das Gefühl, der Film verblute dann vor ihm, er höre den Film
    stöhnen, um Gnade betteln. Geh doch weg, keuche der Film,
    mach die Augen zu, bitte, bitte. Und genau das wolle er hören, rief Paul Schatz, das würde dir so passen, rufe er dann, angeschaut wirst du, angeschaut bis zur letzten
    Sekunde, du kleiner, billiger, schmieriger Drecksfilm, du, du

    222
    bist nämlich das Geilste überhaupt! Lissi Reinhold schrie das
    so heraus, daß eine Sekunde lang die Sopranistin wieder
    hörbar

Weitere Kostenlose Bücher