Der Augenblick der Liebe
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verständigungsintensivere Situation geben kann als die des Paars im Bett, wird eben dadurch auch die Verständigungs-armut deutlich: Die eigene Schwere wird durch nichts so
erlebbar wie durch den Versuch, in die Luft zu springen. Wie
hätte er denn bei dem, was Anna im Bett erlebte oder
produzierte, nicht zum Beobachter werden können! Ihr
Gesicht war ein Film, der in dieser Nacht uraufgeführt
wurde. Das Gesicht durchlief ein ganzes Leben. Zuerst
mädchenhaft, die Lippen schälen sich nur zögernd von den Zähnen. Sie scheint dagegen zu sein, daß sie schon lächle.
Aber sie will zugewendet sein. Gunstvoll. Dann doch
teilnehmend. Dann mehr als teilnehmend. Selber tätig. Mehr
als nur mitmachend. Einerseits hingerissen, andererseits
hinreißend. Der schönste Ehrgeiz der Welt. Siegen wollend, ohne es zu wissen. Dann schon frech. Lustbewußt. Scharf auf
Schamlosigkeit. Genußgierig. Und zeigend, daß sie es sei.
Dann nur noch mitgenommen. Leidend. Mundoffen. Die
Augen rein schwarz. Sich zu zwei Spalten verengend.
Endlich eine Konzentration aller Kraftlinien auf der
Nasenwurzel. So entgleist hat sie noch nie ausgesehen. Sagt
sich Gottlieb. Dem Tod näher als dem Leben. Die Zunge
zwischen den halboffenen Lippen wie ein erlegtes Wild.
Speichel trieft. Sie ist hinüber. Und hat ihn mitgenommen.
Sie schafften es, einander zu verfallen. Und so lagen sie dann. Länger. Wahrscheinlich war er vor ihr eingeschlafen.
Am nächsten Morgen eroberte sie seine Aufmerksamkeit,
bevor er recht wach oder zu einer Besinnung gekommen
war. Er saß auf der Terrasse, frühstückte dumpf, auf jeden Fall bewußtseinsfern, vor sich hin, da stand Anna, schon aus
der Stadt zurück, unter der Tür und sagte übermütig: Du 218
könntest heute abend meinen Mann darstellen. Und Gottlieb
mühelos: Nichts lieber als das. Auf welcher Bühne? Anna
schwenkte den Blumenstrauß, den sie in der Hand hatte.
Rosen, aber von allen Farben, die bei Rosen überhaupt
vorkommen. Lissi Reinhold, sagte Gottlieb. Bravo, sagte
Anna, Sträuße nur aus einer Sorte Blumen, aber da in allen Farben, das ist immer noch Lissi Reinhold. Und was wird gespielt, fragte Gottlieb. Sie will mir wieder einmal etwas zuschanzen, sagte Anna, ein Hotel, in Konstanz. Gottlieb
sagte: Toll. Anna korrigierte streng: Lieber Mann, das war in
deiner Zeit, als ein Hotel noch toll war. Gottlieb sagte: Daß sie mein Schwanenhaus damals schmählich an Kaltammer
verraten hat, kann sie ohnehin nicht mehr gutmachen.
In Lissi Reinholds Immernochsalon saß dann tatsächlich
kein tolles, sondern eher ein kümmerliches Hotelierpaar.
Kläglich und klagend. Vorgestellt: Hugo und Jacqueline.
Nachname unverständlich. Hugo und Jacqueline haben sich
das Hotel ein Leben lang erarbeitet, sind jetzt schuldenfrei, sind alt, müssen verkaufen, um davon leben zu können. Der
Mann nickte, sobald seine Frau sprach, ununterbrochen.
Vielleicht hörte er nur zu, wenn seine Frau sprach. Die dünne Jacqueline trug eine gewaltige, eine steil hinaufra-gende Perücke, die ihrerseits auch zu allem, was die Frau sagte, nickte. Gottlieb dachte: Vor zwanzig Jahren hätte Lissi
Reinhold, die damals noch schwarzweiße Luxusjeeps fuhr,
die Monteverdi Safari hießen, ein so verkümmertes Paar nicht eingeladen. Lissi Reinhold sang nicht mehr. Sie hatte nicht nur ihre Stimme verloren. Gottlieb konnte nicht mehr wie früher den Abend lang an Frau Reinholds grünspangrüner,
durchsichtiger Seide auf‐ und niederschauen und das Gefühl
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haben, eingeladen zu sein, Frau Reinholds Wölbungen und
Rundungen ganz direkt mit den Augen nachzubeten. Von
Lissi Reinhold war nichts übrig geblieben als ein kleider-behängtes Gebein. Braungebrannt war sie noch immer, aber
jetzt sah sie aus wie geröstet. Anna hat alles, was Lissi Reinhold durchlitten hat, und das waren nicht nur Krank-heiten, immer gemeldet. Anna hat bei allen Kontakten das Menschliche verwaltet. Ihre Fähigkeit, teilzunehmen, war
das Ursprünglichste überhaupt. Zu Hause in der Herde
wahrscheinlich. Auf der Herfahrt hatte Anna ihn, wie es die
Routine befahl, auf den neuesten Stand gebracht: Judith, die
ihrer Mutter nachgesungen und als Siebzehnjährige Konzerte
gegeben hatte, die in Magdas Klasse immer die Klassenbeste
gewesen war, die sei jetzt glücklich, hieß es, verheiratet mit einem Ofensetzer, der sie und drei Kinder sorgenfrei
ernähre. Und Benjamin, Primus in Julias Klasse und schon früh
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