Der Augenblick der Liebe
Das weibliche Geschlecht! Und zwar jedesmal in einer Ausführlichkeit, als handle es sich nicht um einen Körperteil, sondern jedes Mal um Landschaften, und zwar um diluvische.
Jetzt gelang Anna der erste Einwurf. Ich finde, sagte sie, er denunziert uns nicht. Er feiert unsere Vielfalt. Sie sei er staunt, daß Lissi den Witz nicht bemerkt habe, den Meister Schatz in diese Körperlandschaften hineingezeichnet habe. Ihr, Anna, habe am besten gefallen das Männlein deutlich Paul Schatz persönlich, das da im weiblichen Portal stehe und dabei die weichen Partien wie eine Kapuze über sich hereinziehe. Das fand Lissi überhaupt ganz fürchterlich. In Zeichnungen witzig sein zu wollen, das sei eine ästhetische Katastrophe. Dürer und Rembrandt und Beckmann zeichnen nicht witzig. Wer die Grenze zur Karikatur überschreitet, sagt, er sei nicht ernst zu nehmen. Aber bitte, diese Spezialisierung auf unser vielfältiges Häutewerk, das sei die reine Altersgeilheit. Und brach richtig aus. Fand große Namen und Bezeichungen für ihn: Chauvinistische Sau, Schmierenpascha, altersgeiler Bock ... Bei mindestens drei Prägungen kam altersgeil vor. Das konnte Anna dem von ihr nun einmal verteidigten Paul Schatz nicht antun lassen. Erstens, sein Berufsethos − und davon verstehe sie etwas − : tadellos. Sein soziales Engagement: musterhaft. Bitte, in der die ganze Seite füllenden Bekanntmachung seines Todes hieß es unten: Statt Kränze und Blumen eine Spende für Germanaid. Mein Gott, rief sie, erinnert euch, das letzte Mal, hier, und wir waren, bitte, alle gleichermaßen hin, als er seine FilmNummer aufführte, die jeder von uns schon vom Hörensagen kannte. Wie er Filme durch Wiederanschauen kaputtmacht, aber auch die, die schon beim ersten An schauen erledigt sind, schaut er noch einmal an und windet sich vor Ekel, Verachtung und Langeweile. Und stieß hier vor uns noch einmal die Laute aus, die er ausstieß, um einen miesen Film durch Wiederanschauen hinzurichten. Er habe das Gefühl, der Film verblute dann vor ihm, er höre den Film stöhnen, um Gnade betteln. Geh doch weg, keuche der Film, mach die Augen zu, bitte, bitte. Und genau das wolle er hören, rief Paul Schatz, das würde dir so passen, rufe er dann, angeschaut wirst du, angeschaut bis zur letzten Sekunde, du kleiner, billiger, schmieriger Drecksfilm, du, du bist nämlich das Geilste überhaupt! Lissi Reinhold schrie das so heraus, daß eine Sekunde lang die Sopranistin wieder hörbar wurde: Das Altersgeilste, ja! Aber Anna ging sofort zum Gegenangriff über. Wenn einer altersgeil geschimpft werden könne oder gar müsse, dann Jarl F. Kaltammer, der immer schon, schon mit vierzig und fünfzig, deutlich altersgeil gewesen sei. Lissi Reinhold und Anna lieferten jetzt eine Debatte über Altersgeilheit. Gottlieb tat, als sei ihm alles, was da gesagt wurde, neu. Eine Zeit lang fürchtete er, zur Stellungnahme genötigt zu werden. Dante wälzte sich inzwi schen auf dem Teppich und stieß Geschlechtsverkehrsbe wegungen in den Raum. Und Althotelier Hugo hatte den Mut, nicht nur hinzuschauen, sondern in eine winzige Gesprächspause der Damen hinein und zu Dante hin zu sagen: Ja, das Leben ist schwer. Lissi und Anna ließen sich nicht ablenken. Sie waren ja in der Hauptsache einig. Beide fanden Altersgeilheit gleich widerlich. Weil jede darauf bestand, nur ihr negativer Favorit sei altersgeil, einigten sie sich schließlich lachend darauf, daß jede den Favoriten der anderen altersgeil finden dürfe. Anna merkte an, sie habe den so gut wie verschwundenen Kaltammer neulich ge
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