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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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jetzt  schuldenfrei,  sind alt, müssen verkaufen, um davon leben zu können. Der  Mann  nickte,  sobald  seine  Frau  sprach,  ununterbrochen.  Vielleicht  hörte  er  nur  zu,  wenn  seine  Frau  sprach.  Die  dünne  Jacqueline  trug  eine  gewaltige,  eine  steil  hinaufra gende  Perücke,  die  ihrerseits  auch  zu  allem,  was  die  Frau  sagte, nickte. Gottlieb dachte: Vor zwanzig Jahren hätte Lissi  Reinhold,  die  damals  noch  schwarzweiße  Luxusjeeps  fuhr,  die  Monteverdi Safari  hießen, ein so verkümmertes Paar nicht  eingeladen.  Lissi  Reinhold  sang  nicht  mehr.  Sie  hatte  nicht  nur  ihre  Stimme  verloren.  Gottlieb  konnte  nicht  mehr  wie  früher  den  Abend  lang  an  Frau  Reinholds  grünspangrüner,  durchsichtiger Seide auf und niederschauen und das Gefühl  haben,  eingeladen  zu  sein,  Frau  Reinholds  Wölbungen  und  Rundungen  ganz  direkt  mit  den  Augen  nachzubeten.  Von  Lissi  Reinhold  war  nichts  übrig  geblieben  als  ein  kleider behängtes Gebein. Braungebrannt war sie noch immer, aber  jetzt  sah  sie  aus  wie  geröstet.  Anna  hat  alles,  was  Lissi  Reinhold  durchlitten  hat,  und  das  waren  nicht  nur  Krank heiten,  immer  gemeldet.  Anna  hat  bei  allen  Kontakten  das  Menschliche  verwaltet.  Ihre  Fähigkeit,  teilzunehmen,  war  das  Ursprünglichste  überhaupt.  Zu  Hause  in  der  Herde  wahrscheinlich. Auf der Herfahrt hatte Anna ihn, wie es die  Routine befahl, auf den neuesten Stand gebracht: Judith, die  ihrer Mutter nachgesungen und als Siebzehnjährige Konzerte  gegeben hatte, die in Magdas Klasse immer die Klassenbeste  gewesen war, die sei jetzt glücklich, hieß es, verheiratet mit  einem  Ofensetzer,  der  sie  und  drei  Kinder  sorgenfrei  ernähre.  Und  Benjamin,  Primus  in  Julias  Klasse  und  schon  früh  Landesfechtmeister,  war  jetzt  Bademeister  in  Saulgau.  Aber die Zeit, in der man sich nach den Kindern erkundigen  mußte, war ohnehin vorbei. Es herrschte eine unverabredete  Übereinkunft,  daß  man  die  Kinder  am  besten  nicht  mehr  erwähne.  Daß  die  zärtlichkeitssüchtige  Labradorhündin  Wunni hatte eingeschläfert werden müssen und durch einen  einschüchternden  Dobermannrüden  ersetzt  worden  war,  hatte Anna zum Glück mitgeteilt. Der werde Dante gerufen. 
Dante  räkelte  sich  dann  auch  zentral  im  Zimmer.  Er  war  offenbar durchdrungen von der Gewißheit, daß alle nur ihm  zuschauten.  Dem  Hotelierspaar  versprach  Anna,  sie  werde  sicher  bald  einen  Käufer  finden.  Da  sagte  Hugo  dann  doch  noch einen Satz: Das habe Paul Schatz auch versprochen und  dann  sei  er  gestorben.  Das  klang,  als  sei  Paul  Schatz  gestorben,  weil  er  versprochen  hatte,  diesem  dahinküm mernden Paar zu helfen. Das hieß: Wer uns helfen will, dem  passiert  etwas  Schlimmes,  ich  warne  Sie.  Gottlieb  empfand  es als eine der im Handel üblichen Demütigungen. Man war  zweite  Wahl.  Lissi  Reinhold  rief:  Bitte,  Hugo,  nichts  von,  nichts  über  Paul  Schatz.  Schone  uns!  Und  erklärte  ihre  Lautstärke:  Paul  Schatz  sei  der  erste  Mensch,  dem  sie,  auch  nach  seinem  Tod,  nichts  Gutes  nachsagen  könne.  Wäre  sie  simpel  religiös,  würde  sie  sagen,  sein  jäher  Tod  sei  eine  Strafe  für  die  fürchterliche  Ausstellung  seiner  Zeichnungen  im  Mauracher  Schloß.  Genialer  Amateur,  steht  dann  in  der  Zeitung. Professionelles Schwein hätte drin stehen sollen. Sie  habe,  daran  müsse  sie  erinnern,  den  nebenher  Bilder  malenden  Immobilienkönig  immer  verteidigt,  auch  wie  er  mit seinem Geld sich als Künstler inszenierte, ihr war¹s egal,  aber  in  diesen  Zeichnungen  habe  er  sich  zum  Schluß  end gültig  entlarvt.  Seine  überregional  demonstrierte  Vielweibe rei  sei  ihr  zwar  zuweilen  auf  die  Nerven  gegangen,  gesagt  habe  sie  nichts.  Aber  diese  Ausstellung!  Zeichnungen  über  ein  einziges  Motiv! 

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