Der Augenblick der Liebe
jetzt schuldenfrei, sind alt, müssen verkaufen, um davon leben zu können. Der Mann nickte, sobald seine Frau sprach, ununterbrochen. Vielleicht hörte er nur zu, wenn seine Frau sprach. Die dünne Jacqueline trug eine gewaltige, eine steil hinaufra gende Perücke, die ihrerseits auch zu allem, was die Frau sagte, nickte. Gottlieb dachte: Vor zwanzig Jahren hätte Lissi Reinhold, die damals noch schwarzweiße Luxusjeeps fuhr, die Monteverdi Safari hießen, ein so verkümmertes Paar nicht eingeladen. Lissi Reinhold sang nicht mehr. Sie hatte nicht nur ihre Stimme verloren. Gottlieb konnte nicht mehr wie früher den Abend lang an Frau Reinholds grünspangrüner, durchsichtiger Seide auf und niederschauen und das Gefühl haben, eingeladen zu sein, Frau Reinholds Wölbungen und Rundungen ganz direkt mit den Augen nachzubeten. Von Lissi Reinhold war nichts übrig geblieben als ein kleider behängtes Gebein. Braungebrannt war sie noch immer, aber jetzt sah sie aus wie geröstet. Anna hat alles, was Lissi Reinhold durchlitten hat, und das waren nicht nur Krank heiten, immer gemeldet. Anna hat bei allen Kontakten das Menschliche verwaltet. Ihre Fähigkeit, teilzunehmen, war das Ursprünglichste überhaupt. Zu Hause in der Herde wahrscheinlich. Auf der Herfahrt hatte Anna ihn, wie es die Routine befahl, auf den neuesten Stand gebracht: Judith, die ihrer Mutter nachgesungen und als Siebzehnjährige Konzerte gegeben hatte, die in Magdas Klasse immer die Klassenbeste gewesen war, die sei jetzt glücklich, hieß es, verheiratet mit einem Ofensetzer, der sie und drei Kinder sorgenfrei ernähre. Und Benjamin, Primus in Julias Klasse und schon früh Landesfechtmeister, war jetzt Bademeister in Saulgau. Aber die Zeit, in der man sich nach den Kindern erkundigen mußte, war ohnehin vorbei. Es herrschte eine unverabredete Übereinkunft, daß man die Kinder am besten nicht mehr erwähne. Daß die zärtlichkeitssüchtige Labradorhündin Wunni hatte eingeschläfert werden müssen und durch einen einschüchternden Dobermannrüden ersetzt worden war, hatte Anna zum Glück mitgeteilt. Der werde Dante gerufen.
Dante räkelte sich dann auch zentral im Zimmer. Er war offenbar durchdrungen von der Gewißheit, daß alle nur ihm zuschauten. Dem Hotelierspaar versprach Anna, sie werde sicher bald einen Käufer finden. Da sagte Hugo dann doch noch einen Satz: Das habe Paul Schatz auch versprochen und dann sei er gestorben. Das klang, als sei Paul Schatz gestorben, weil er versprochen hatte, diesem dahinküm mernden Paar zu helfen. Das hieß: Wer uns helfen will, dem passiert etwas Schlimmes, ich warne Sie. Gottlieb empfand es als eine der im Handel üblichen Demütigungen. Man war zweite Wahl. Lissi Reinhold rief: Bitte, Hugo, nichts von, nichts über Paul Schatz. Schone uns! Und erklärte ihre Lautstärke: Paul Schatz sei der erste Mensch, dem sie, auch nach seinem Tod, nichts Gutes nachsagen könne. Wäre sie simpel religiös, würde sie sagen, sein jäher Tod sei eine Strafe für die fürchterliche Ausstellung seiner Zeichnungen im Mauracher Schloß. Genialer Amateur, steht dann in der Zeitung. Professionelles Schwein hätte drin stehen sollen. Sie habe, daran müsse sie erinnern, den nebenher Bilder malenden Immobilienkönig immer verteidigt, auch wie er mit seinem Geld sich als Künstler inszenierte, ihr war¹s egal, aber in diesen Zeichnungen habe er sich zum Schluß end gültig entlarvt. Seine überregional demonstrierte Vielweibe rei sei ihr zwar zuweilen auf die Nerven gegangen, gesagt habe sie nichts. Aber diese Ausstellung! Zeichnungen über ein einziges Motiv!
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